Für die Gewerkschaften stand bei dieser Revision viel auf dem Spiel: Bundesrat Merz wollte bei öffentlichen Beschaffungen die einzuhaltenden Arbeitsbedingungen deregulieren. Laut den Plänen seiner Verwaltung hätten bei allen öffentlichen Ausschreibungen einzig die staatlich festgelegten Arbeitsbedingungen eingehalten werden müssen. Massgebend wären die Bedingungen des Herkunftsortes gewesen. Das hätte bedeutet, dass weder Bund noch Kanton die Einhaltung der orts- und branchenüblichen Löhne hätten verlangen können. Es hätte keine Pflicht zur Einhaltung des einschlägigen GAV bestanden. Damit wäre dem Lohndumping Tür und Tor geöffnet worden.
Die Vorschläge von Merz stiessen aber ausser bei den Liberalisierungsfundamentalisten der Wettbewerbskommission auf wenig Zustimmung. Die Kantone lehnen eine Vereinheitlichung ab und sehen ihren Handlungsspielraum beschnitten. Dem Schweizerischen Gewerkschaftsbund (SGB) ist es gelungen, auch die anderen Arbeitnehmerorganisationen und auch Teile der Arbeitgeberschaft gegen das Projekt zu moblisieren. Vor allem das Argument, dass das Herkunftsortsprinzip früher oder später auch für ausländische Firmen hätte gelten müssen, konnte in die Breite überzeugen. Die Aussicht, dass europäische Firmen für die Errichtung von öffentlichen Gebäuden nach den Arbeitsbedingungen ihres Herkunftsstaates mitbieten könnten, weckte weitherum grosses Missbehagen.
Aufgrund dieses Protestes hat der Bundesrat Ende Juni beschlossen, die Revision des öffentlichen Beschaffungsrechts zu sistieren. Kleinere, punktuelle Änderungen sollen einzig auf Verordnungsstufe und einzig für das Beschaffungsverfahren des Bundes an die Hand genommen werden. Der grosse Angriff von Bundesrat Merz auf die GAV und die orts- und branchenüblichen Löhne ist im Sand gelandet. Der SGB hat den Grundsatz „Gleicher Lohn für gleiche Arbeit am gleichen Ort“ bei öffentlichen Ausschreibungen erfolgreich verteidigt – und damit viel soziales Ungemach abgewendet.