Der aktualisierte und neu bearbeitete Verteilungsbericht 2012 des Schweizerischen Gewerkschaftsbundes führt die Analyse weiter. Er bestätigt unter Einbezug der neuesten Daten, die jetzt auch für das Jahr 2010 vorliegen, dass die verfügbaren Einkommen der unteren und mittleren Einkommen kaum wachsen bzw. bei Einzelhaushalten sogar sinken, während die hohen und höchsten Einkommen unverhältnismässig zugelegt haben. Verantwortlich dafür ist nicht nur die Lohnentwicklung, welche die hohen und höchsten Löhne begünstigt hat, sondern auch die Steuer- und Abgabepolitik. Diese war und bleibt geprägt von Steuerentlastungen für die hohen Einkommen und Vermögen, während die Krankenkassenprämien und die Mieten die Normalverdienenden unverhältnismässig belasten.
Diese negative Entwicklung ist kein Naturgesetz. Wie im neuen Verteilungsbericht 2012 jetzt auch unter Einbezug der neuen internationalen Forschung dargestellt wird, sind es letztlich politische Entscheide, welche zu mehr Ungleichheit oder zu mehr Gleichheit und Gerechtigkeit bei der Einkommens- und Vermögensentwicklung führen.
Gerade diese für die Einkommens- und Vermögensentwicklung massgebenden politischen Entscheide waren in den letzten Jahren in der Schweiz unter dem Strich stark negativ, was den unteren und mittleren Einkommen geschadet hat. Es genügt aber nicht, die Fehlentwicklungen bei den hohen Einkommen zu beklagen, wie dies der Bundesrat jüngst in seiner Botschaft zur Volksinitiative „1:12 – Für gerechte Löhne“ getan hat. Nötig sind konkrete Massnahmen und entsprechende politische Schritte.
In der Steuerpolitik muss die Spirale ständiger Steuersenkungen zugunsten hoher Einkommen und Vermögen gestoppt werden. Das krasseste Beispiel dafür ist auf Bundesebene die Unternehmenssteuerreform II, die zu Milliardenausfällen zugunsten reicher Aktionäre führt, die auf Entlastungen am allerwenigsten angewiesen wären. Allein 2012 hat die Reform Steuerausfälle von 400 Millionen bei den Einkommenssteuern und von 350 Millionen bei der Verrechnungssteuer zur Folge. Wie inzwischen auch das Bundesgericht bestätigt hat, sind die Stimmbürgerinnen und Stimmbürger vor dem Entscheid von den zuständigen Bundesbehörden hinters Licht geführt, sprich angelogen, worden. Nicht nur mit Blick auf die gravierenden Auswirkungen der verfehlten Reform, sondern auch demokratiepolitisch wäre es ein kapitales Politikversagen von Bundesrat und Parlament, wenn sie nicht imstande wären, deren Folgen nun innert nützlicher Frist rückgängig zu machen.
Überhaupt muss die Steuerpolitik wieder auf die elementaren Grundsätze der demokratischen Verfassung, nämlich die Besteuerung nach der wirtschaftlichen Leistungsfähigkeit, zurückgeführt werden. Statt neue Steuersenkungen auch bei den Unternehmenssteuern braucht es Korrekturen, wie sie beispielsweise mit der von den Gewerkschaften unterstützten Initiative für die Bundeserbschaftssteuer verlangt werden. Auch eine Bonussteuer, wie sie derzeit im Zusammenhang mit der sogenannten Abzockerinitiative diskutiert wird, wäre ein Signal in die richtige Richtung.
Für die unteren und mittleren Einkommen ist es andererseits entscheidend, dass endlich bei den Krankenkassenprämien, die immer mehr zu einer unsozialen indirekten Steuer werden, wieder etwas Wirksames geschieht. Erste Schritte wären bei der Prämienverbilligung überfällig.
Lohnpolitisch schliesslich braucht es berufs- und qualifikationsspezifische Mindestlöhne und eine Untergrenze von 22 Franken pro Stunde, wie sie von der Mindestlohninitiative der Gewerkschaften gefordert werden, damit wieder eine nachhaltig positive Entwicklung bei den unteren und mittleren Löhnen eingeleitet werden kann. Der Verteilungsbericht zeigt, dass Lohnsysteme mit Mindestlöhnen und generellen Lohnerhöhungen zu gerechteren Verhältnissen führen. Das sind die dringendsten Schlussfolgerungen aus dem Verteilungsbericht 2012.