Rekordverdächtige Überschüsse trotz Pandemie– und völlig falsche Rezepte, wie damit umzugehen ist: So präsentiert sich die Lage der Kantonsfinanzen nach Publikation der Rechnungsabschlüsse 2021.
5.2 Milliarden mehr in den Kassen als budgetiert
Nach Vorliegen fast sämtlicher Rechnungsabschlüsse der Kantone für das vergangene Jahr drängt sich eine einfache Feststellung auf: Die Kantone schwimmen im Geld. Kumuliert betrachtet erzielten die Kantone in den Erfolgsrechnungen einen Überschuss von 2.7 Milliarden Franken. Dies, nachdem sie in den Budgets noch von einem Defizit von 2.5 Milliarden ausgegangen waren. Die FinanzdirektorInnen lagen also um sage und schreibe 5.2 Milliarden Franken daneben. Mit Ausnahme von drei Kantonen sind sämtliche Abschlüsse stark positiv, die Budgets waren hingegen fast überall noch rot.
Zugegeben: Zum Zeitpunkt der Erstellung der Budgets 2021 (Herbst 2020) war es nicht gerade einfach, den Gang der Wirtschaftsentwicklung zuverlässig zu prognostizieren, hoch waren insbesondere die pandemiebedingten Unsicherheiten. Dazu kam, dass die Nationalbank zusammen mit dem Bund noch während des Rechnungsjahres beschloss, den Kantonen eine höhere Gewinnausschüttung zukommen zu lassen. Aber dennoch: der erzielte Budgetierungsfehler ist dermassen hoch, dass die beschriebenen Faktoren bei weitem nicht ausreichende Erklärungen liefern.
Denn zwei weitere, sehr wohl beeinflussbare Faktoren spielen ebenfalls eine entscheidende Rolle: Erstens halten die FinanzdirektorInnen sogar in Pandemiezeiten an der zumindest unseriösen Tradition einer absehbar massiven Fehlbudgetierung fest. Letztere war bereits in den Vorjahren in den meisten Kantonen eine immer wiederkehrende Gegebenheit (nicht selten mit Abweichungen im zweistelligen Prozentbereich), wie der SGB in seinen Analysen zu den Kantonsfinanzen immer wieder aufgezeigt hat. Und zweitens waren die Kantone äusserst erfolgreich darin, den finanziellen Zusatzaufwand der pandemiebedingten Stützungsmassnahmen fast ausschliesslich dem Bund aufzuhalsen («Ddu hast die Schliessungen befohlen, also zahlst du!»): je nachdem wie man rechnet, gingen davon bis zu 90 Prozent auf das Konto der Bundeskasse.
Nicht die Überschüsse sind das Problem, sondern der Umgang damit
Unter dem Strich wurden die Kantonskassen damit nicht zu Geschädigten, sondern fast schon zu Profiteuren der finanzpolitischen Auswirkungen der Pandemie. Das wäre nicht weiter zu beanstanden, wenn die Kantone diese Situation für Bevölkerung und Wirtschaft auch sinnvoll und produktiv zu nutzen wüssten. Doch leider ist das Gegenteil der Fall. Denn zunächst fliesst in den meisten Kantonen ein Grossteil der überzielten Überschüsse umgehend in die Tresore der Schuldenbremsen, welche in den meisten Kantonen noch viel strenger wirken als auf Bundesebene. Anstatt also die Mittel gezielt produktiv einzusetzen, fliessen sie völlig sinnbefreit in den weiteren Vermögensaufbau. Und dies, obwohl der Investitionsbedarf unbestritten gross ist – man denke nur an den klima- und versorgungspolitisch höchst dringenden Umbau der Energieproduktion, an den sich nach der Pandemie immer mehr zuspitzenden Pflegenotstand oder etwa auch an die Finanzierung des Gesundheitswesens (siehe unten).
Anstatt solche Zukunftsprojekte kreativ und mit den dafür notwendigen Mitteln anzugehen, setzen die Kantone – über die Schuldenbremse hinaus – vielerorts nur wieder auf die abgedroschene Strategie der Steuersenkungen: In mehr als der Hälfte der Kantone wurden im Rahmen der vergangenen Budgetberatungen Steuersätze und -füsse für juristische und/oder natürliche Personen gesenkt, oder solche Entscheide stehen kurz bevor. Dort, wo die Regierungen auf solche Projekte verzichteten, wurden sie stattdessen von den Parlamenten durchgesetzt (so etwa im Kanton Zürich). Diese Situation mutet wirklich paradox an, ist doch gleichzeitig allen Verantwortlichen bewusst, dass die von der OECD geforderte Einführung eines minimalen Gewinnsteuersatzes von 15 Prozent unmittelbar bevorsteht, und damit in den meisten Kantonen eine Steuererhöhung. In gewissen Kantonen werden somit die soeben beschlossenen Steuersenkungen zur Makulatur, noch bevor sie überhaupt umgesetzt werden können. Und das ist auch richtig.
Endlich die Unterfinanzierung der Prämienverbilligungen aufheben
Die Kantone sollten sich heute umgekehrt endlich ernsthaft überlegen, weshalb sie trotz rekordmässig tiefer Steuern fortdauernd Überschüsse erzielen (und dies sogar während beziehungsweise nach einer Pandemie). Die Antwort ist simpel: Weil sie zu wenig ausgeben.
Ein frappantes Beispiel ist das Gesundheitswesens: Nirgendwo in Europa fliessen so wenig öffentliche Gelder in die Grundversorgung wie hierzulande, wo die Haushalte stattdessen eine zunehmend untragbare Last von Kopfprämien und direkter Kostenbeteiligung zu stemmen haben. Der Anteil der Prämienverbilligungen an der Finanzierung der Grundversicherung – neben der Spitalfinanzierung der Kantone das einzige steuerfinanzierte Element – hat sich in den letzten 10 Jahren sogar noch halbiert. Und dafür sind fast ausschliesslich die Kantone verantwortlich. Noch mehr zu verantworten werden sie diesbezüglich im kommenden Herbst haben. Dann nämlich steht mit grosser Wahrscheinlichkeit eine massive Prämienerhöhung an. Nichts wäre deshalb vordringlicher, als nun endlich eine massive Erhöhung der Mittel für Prämienverbilligungen zu beschliessen – sowohl auf Bundes- als auch auf Kantonsebene.