Die Finanzkrise als Demokratiekrise

  • Wirtschaft
Medienmitteilung
Verfasst durch Paul Rechsteiner

Zwei Entscheide prägten die Sommersession des Parlaments. Erstens sprach es sich gegen die Einsetzung einer parlamentarischen Untersuchungskommission aus. Und zweitens lehnte die Parlamentsmehrheit erneut – diesmal beim UBS-Staatsvertrag mit den USA – sämtliche Auflagen an die Grossbanken betreffend Boni und Eigenkapitalausstattung ab.

Die Zwischenbilanz zur Finanzkrise fällt nach mehr als eineinhalb Jahren für die Schweiz verheerend aus:

Sie beginnt damit, dass der Bundesrat das UBS-Rettungspaket von Anfang Oktober 2008 mit Notrecht, wie im Krieg, am Parlament und der Demokratie vorbei beschliesst (dies im Unterschied zu andern Ländern). Es handelt sich mit 68 Milliarden Franken um die grösste Staatsausgabe aller Zeiten, wovon ein wesentlicher Teil nach wie vor in den Büchern der Nationalbank hängt. Ende November 2008, also zwei Monate später, können die Aktionäre der UBS „demokratisch“ an einer Generalversammlung darüber entscheiden, ob sie die Hilfe annehmen. Das Parlament, das für jene steht, die das zu bezahlen haben, hat zum Rettungspaket nichts zu sagen.

Die für die Bankenaufsicht zuständige Finanzmarktaufsicht (Finma) segnet von neuem Hochrisikogeschäfte im Investmentbanking ab sowie Boni, die sogar die Exzesse vor der Finanzkrise in den Schatten stellen. Die gleiche Finma behauptet gegenüber der schweizerischen Öffentlichkeit, dass die kriminellen Machenschaften der UBS in den USA nur von ein paar untergeordneten Chargen begangen wurden. Dabei hat die UBS selber in den USA mit dem „Deferred Prosecution Agreement“ anerkannt, dass dies mit dem Wissen und der Billigung des höchsten Managements geschah.

Die Vorgänge gipfeln darin, dass eine Mehrheit der Ständeräte wie im Ancien Regime die Einsetzung einer Parlamentarischen Untersuchungskommission (PUK) hintertreibt. Eine solche wäre das einzige wirksame parlamentarische Mittel gewesen, mit dem die in der Geschichte des Schweizer Bundesstaats präzedenzlosen Vorgänge aufgeklärt und daraus die nötigen Schlussfolgerungen hätten gezogen werden können. Die Alibiuntersuchung der Geschäftsprüfungskommission (GPK) – diese hat weder die UBS und die Ursachen der Krise noch die Abhängigkeit der Behörden einbezogen – hat für jene, die weitermachen wollen wie bisher, ihren Zweck als Ablenkungsmanöver erfüllt. Der GPK-Bericht legt nämlich den Finger auf die Funktionsweise des Bundesrats und damit zielsicher auf einen Punkt, bei dem sich die Finanzkrise nicht von vielen anderen Vorgängen vorher und nachher unterscheidet.

Diese Vorgänge zeigen, dass die Finanzkrise zu einer institutionellen Krise und Demokratiekrise von gewaltigen Ausmassen geworden ist. Wie wäre es sonst vorstellbar, dass die Aufsichtsbehörde von einem UBS-Mann geführt wird? Der sich als früherer Teil des verantwortlichen Managements von derjenigen Behörde, der er heute vorsteht, gleich auch noch einen Persilschein für die kriminellen Machenschaften in den USA ausstellen lässt? Wie kann es soweit kommen, dass die Agenda der gesamten Finanzplatzpolitik im Finanzdepartement seit einigen Jahren offiziell von einer nicht legitimierten Arbeitsgruppe definiert wird, in der führende Bankenvertreter sitzen (Stafi)?

Die beiden Grossbanken sind für die Schweizer Volkswirtschaft und den Schweizer Staat ein Systemrisiko. Dieses Systemrisiko wird durch die mangelnde Unabhängigkeit, ja Servilität der massgebenden staatlichen Akteure und der Behörden gegenüber den Interessen der Grossbanken noch potenziert. Wen kann es da noch wundern, wenn UBS-Grübel Ende letzter Woche nach seinem Triumph – der von ihm gewünschten Ablehnung der PUK und minimalster Auflagen zum Staatsvertrag – nun auch noch die Abkehr von den bisher vermeintlich unbestrittenen Vorgaben zum Eigenkapital verlangt?

Die demokratischen Prozesse sind im Zuge der Finanzkrise in einem Ausmass ausser Kraft gesetzt worden, wie das in der Geschichte der modernen Schweiz noch nie geschehen ist. Das nehmen die Leute wahr, wie ich immer wieder feststelle aufgrund von Gesprächen, in die ich verwickelt werde. Es braucht deshalb eine Bewegung der Bürgerinnen und Bürger, die dafür sorgt, dass die kommenden Monate und Jahre – in denen zentrale Entscheide bevorstehen – nicht nach dem Muster dieser Vorgänge ablaufen. Die Schweiz ist mehr und besseres als ein durch Grossbankeninteressen kolonisiertes Land.

Der Schweizerische Gewerkschaftsbund (SGB) kämpft deshalb nicht nur für mehr soziale Gerechtigkeit und dagegen, dass die Kosten der Krise, die durch die Missbräuche im Finanzsektor verursacht worden ist, auf die breite Bevölkerung abgewälzt werden. Er beteiligt sich auch an vorderster Front an der Bewegung für die Wiederherstellung demokratischer Verhältnisse. Dies unter anderem durch Veranstaltungen zum Thema „Gekaufte Schweiz?“, die im Spätsommer starten. Es handelt sich dabei um offene Anlässe, wo mit interessierten Kreisen die Machtverhältnisse in der Schweiz analysiert werden sollen.

Zudem unterstützt der SGB die noch hängigen Bemühungen für eine Finanzmarktregulierung. In unseren Verbänden sowie bei deren Mitgliedern ist die Empörung gross über die Untätigkeit der Behörden sowie die unverschämte Selbstbedienungsmentalität in den Grossbanken. Der SGB hat bereits Ideen für eine Besteuerung der Abzockergehälter vorgelegt. Nachdem bisher sämtliche Vorschläge hierzu abgelehnt worden sind, nimmt der SGB den Vorschlag einer Volksinitiative hierzu auf und prüft in nächster Zeit deren Ausgestaltung und Lancierung in einem breiten Bündnis. Die überrissenen Boni sind nur möglich, weil die Steuerzahlenden das Finanzsystem gerettet haben. Daher ist es nichts als gerecht, wenn sich das Volk wenigstens einen Teil davon zurückholt – bspw. via Verbilligung für die Krankenkassenprämien.

Zuständig beim SGB

Daniel Lampart

Premier secrétaire et économiste en chef

031 377 01 16

daniel.lampart(at)sgb.ch
Daniel Lampart
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