Aufgeblasenes Problem und bequeme Ausrede

  • Geld und Währung
Artikel
Verfasst durch Daniel Lampart, Chefökonom des SGB

Der Schweizer Staat steht finanziell sehr solide da, ganz im Gegensatz zu immer wieder vorgebrachten Behauptungen. Der ausgewiesenen Staatschuld steht ein Vermögen in mindestens derselben Höhe gegenüber. Geld für Konjunkturmassnahmen ist vorhanden, das zeigt eine nüchterne ökonomische Analyse der staatlichen Finanzsituation.

Nachdem die Konjunkturpolitik seit den späten 1980er Jahren mehr und mehr an politischer Akzeptanz verloren hatte, waren Ende 2008/Anfang 2009 plötzlich wieder staatliche Konjunkturprogramme en vogue. Doch seit dem Frühsommer gewinnt die frühere Ideologie wieder an Bedeutung. Das dabei bevorzugte Argument:  Konjunkturprogramme würden die Staatsschulden in die Höhe treiben und dadurch die Wachstumsfähigkeit nach der Krise beeinträchtigen. Dazu kommt, dass zahlreiche Kantone in den vergangenen Aufschwungjahren restriktive Schuldenbremsen eingeführt haben. Diese verlangen, dass der Staatshaushalt unabhängig von der Konjunkturlage ausgeglichen werden muss. Kantone und Gemeinden stehen deshalb 2010 bei den Ausgaben auf der Bremse. Mitten in der Krise wollen sie die Ausgaben zurückfahren. Gemäss einer Erhebung des Finanzdepartementes planen die Kantone Ausgabenkürzungen von rund 1 Mrd. Franken, die Gemeinden von fast 3 Milliarden Franken (s. Grafik unten). Obwohl die Arbeitslosigkeit 2010 auf einen Höchststand steigen wird, plant der Schweizer Staat einen ausgeglichenen Haushalt.

Ausgaben von Bund, Kantonen und Gemeinden 2010
 (Veränderung gegenüber 2009 in Millionen Franken)

Die Schweizer Finanzpolitik schlägt mitten in der Krise einen restriktiven, rezessionsverstärkenden Kurs ein. Das, obwohl bereits über die höheren Krankenkassenprämien massiv Kaufkraft abgeschöpft (2 bis 3 Mrd. Fr.) und somit der Wirtschaft Nachfrage entzogen wird. Wenn die Einnahmen aus der CO2-Abgabe 2010 nicht sofort zurückerstattet werden, fehlt weiter Kaufkraft. Insgesamt gibt der Staat einen negativen Impuls von über 5 Mrd. Franken bzw. von mehr als ein Prozent des BIP. 

Das Geld für eine bessere, stabilisierende Finanzpolitik wäre vorhanden. Erstens ist die Staatverschuldung in der Schweiz kein Problem (s. folgendes Kapitel). Zweitens hat der Schweizer Staat in den Aufschwungjahren eine zurückhaltende Ausgabenpolitik betrieben. Die Staatsquote (Ausgaben von Bund, Kantonen, Gemeinden in % des BIP) sank zwischen 2003 und 2008 um rund 2 Prozentpunkte. Gemäss Berechnungen der KOF hat alleine der Bund über 8 Mrd. Franken mehr gespart, als er das aufgrund der Schuldenbremse hätte tun müssen. Die Staats-Schuldenquote ist von 55 Prozent auf unter 42 Prozent gesunken. Das Geld für eine Stabilisierungspolitik ist problemlos verfügbar. 

Staatsquote und Bruttoschuldenquote (Bund, Kantone und Gemeinden)
 (ordentliche Ausgaben bzw. Bruttoschuld in % des BIP)

Staatsschulden sind grundsätzlich kein Problem - ein ökonomischer Exkurs

Wenn von Staatsschuld die Rede ist, ist in der Regel von der Bruttoschuld die Rede, d.h. vom Fremdkapital ohne Berücksichtigung des staatlichen Vermögens. Dabei hat der Staat auch Vermögen, z.B. in Form von Wertpapieren oder Immobilien. Wegen der Buchungspraxis in den Staatsrechnungen wird das Vermögen allerdings unterschätzt, indem beispielsweise Wertpapiere zum Nennwert verbucht werden und Immobilien sowie Grundstücke in der Vergangenheit stark abgeschrieben wurden. Darum können Bruttoschuld und Vermögen nicht direkt verglichen werden, sondern es muss ein indirekter Vergleich von Schuld und Vermögen vorgenommen werden. Zum Beispiel indem die Schuldzinsen mit den Vermögenserträgen verglichen werden. Stellt man diese beiden Grössen einander gegenüber, so zeigt sich, dass die Erträge aus dem Vermögen die Passivzinsen deutlich übersteigen. 

Bund, Kantone und Gemeinden sind unter dem Strich daher nicht verschuldet, sondern netto vermögend. Der norwegische Staat weist eine Bruttoschuld von mehr als 50 Prozent des BIP aus. Dieser Schuld steht ein Vermögen gegenüber, das fast drei Mal so hoch ist. Norwegen hat u.a. eine Bruttoschuld, damit der norwegische Kapitalmarkt mit staatlichen Obligationen versorgt ist. Ohne diese Obligationen ist beispielsweise die Geldpolitik erschwert. 

Doch selbst wenn ein Staat netto verschuldet ist, ist das noch kein Grund zur Beunruhigung. Nur weil auf der Staatsschuld Zinsen bezahlt werden müssen, droht noch keine Schuldenspirale, solange nämlich das Staatsdefizit nicht grösser ist als die Schuldzinsen. Weil der Zinssatz längerfristig gleich hoch ist wie das Wirtschaftswachstum, wachsen die Schulden im Einklang mit dem BIP bzw. den Einkommen einer Volkswirtschaft. Die Zinsen können bezahlt werden, ohne dass Steuern erhöht werden müssen bzw. die Schulden aus dem Ruder laufen. 

Solange ein Staat nicht stark gegenüber dem Ausland verschuldet ist, wird auch durch die Staatsschuld niemand ärmer bzw. die nachfolgenden Generationen werden nicht belastet. Ein Beispiel: Ein Dorf organisiert ein Fest. Die Gemeinde bezahlt. Das Fest kann auf zwei Arten finanziert werden: a) Entweder nimmt die Gemeinde einen Kredit bei ihren EinwohnerInnen auf, oder b) die Gemeinde erhöht die Steuern um so viel, wie das Fest kostet. Was heisst das nun für die Kinder der EinwohnerInnen, die das Fest veranstaltet haben? In beiden Fällen vererben die EinwohnerInnen ihren Kindern ein Vermögen, das um den Betrag gesunken ist, den das Fest gekostet hat. Wobei sie im Fall a) ihren Kindern zusätzlich eine Obligation auf den Betrag, den das Fest gekostet hat, vererben. Wenn die Gemeinde die Obligation zurückzahlen will, muss sie die Steuern erhöhen. D.h. die BewohnerInnen, die eine Obligation halten, werden mehr Steuern bezahlen müssen, damit ihnen die Schulden zurückbezahlt werden können. Ein Nullsummenspiel also. Fazit: Egal ob das Fest über einen Kredit oder über höhere Steuern finanziert wurde: Das Geld ist ausgegeben.  

Zuständig beim SGB

Daniel Lampart

Sekretariatsleiter und Chefökonom

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Daniel Lampart
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