Das Parlament berät zurzeit die Vorlage für einen zweiten Entwicklungsbeitrag an ausgewählte EU-Staaten. 2006, unmittelbar nach der EU-Osterweiterung, gaben die Stimmberechtigten grünes Licht, zur Verringerung des sozialen Gefälles zwischen West- und Osteuropa über zehn Jahre eine Milliarde Franken einzusetzen. Dieses Engagement sollte die Schweiz fortsetzen.
In der Sache widersetzen sich die SVP und die radikale Linke. Die SVP ist in ihrem Egoismus prinzipiell gegen jede Entwicklungszusammenarbeit, verstärkt noch wenn diese für EU-Länder bestimmt ist. Die radikale Linke begründet ihr Nein vor allem mit den politischen Entwicklungen in den osteuropäischen Ländern. Es darf doch nicht sein, sagt sie, dass die Schweiz mit viel Geld zunehmend autoritäre Regierungen unterstützt, die Menschenrechte und demokratische Grundregeln mit den Füssen treten, etwa in Polen, Ungarn und weiteren Staaten.
Auch die Gewerkschaften sind sehr besorgt über die politischen Entwicklungen in Mittel-und Osteuropa. Mit diesem zweiten Beitrag soll in diesen Ländern jedoch die Zivilgesellschaft und die sozial benachteiligten Schichten der Gesellschaft unterstützt werden und nicht diese fragwürdigen Regierungen. Ginge es nach der Logik der radikalen Linken wäre die Schweiz übrigens gezwungen, drei Viertel ihrer Entwicklungszusammenarbeit weltweit zusammenzustreichen. Denn sie fliesst grossmehrheitlich in Länder mit nicht lupenreinen Demokratien!
Unsere Haltung ist klar. Die Schweiz ist dank den Bilateralen Verträgen an den EU-Binnenmarkt angeschlossen und profitiert dementsprechend von den Vorteilen. Deshalb soll sie weiterhin einen Beitrag zur Reduktion der regionalen wirtschaftlichen Unterschiede in der EU leisten. Die Erfahrungen mit dem ersten Erweiterungsbeitrag waren insgesamt positiv. Aus SGB-Sicht sollen die kritischen Lehren aus diesen Erfahrungen dazu dienen, den zweiten Beitrag thematisch und geographisch besser zu fokussieren. Die Projekte müssen weiterhin zu einer Verringerung des sozialen Gefälles beitragen. Sie sollen die Zivilgesellschaft und die Sozialpartner stärken und auf keinen Fall den Autoritarismus in Ländern wie Ungarn, Polen, der Tschechischen Republik oder der Slowakei. Die zwei neuen Schwerpunkte Migration und Berufsbildung können wirksam dazu beitragen, diese Ziele zu erreichen. Der SGB begrüsst, dass Staaten, wie zum Beispiel Griechenland, die von Migration besonders stark betroffen sind, mit 200 Millionen Franken – ein Sechstel der Gesamtsumme - unterstützt werden. Dieser Beitrag darf jedoch ausschliesslich in den Schutz und die Integration der Aufgenommenen fliessen.
Die wirtschaftliche und soziale Entwicklung in den zentral- und südosteuropäischen Ländern verläuft in unterschiedlichen Geschwindigkeiten. Länder wie Polen, Ungarn, etc. werden deswegen vom zweiten Beitrag deutlich weniger erhalten. Einen wesentlich höheren Anteil bekommen wirtschaftlich weniger entwickelte Länder wie Rumänien und Bulgarien. Aber auch in Ländern wie Polen und Ungarn leben immer noch viele Menschen unter dem Existenzminimum und haben keinen oder einen eingeschränkten Zugang zum Service Public. Dies betrifft insbesondere Minderheiten (wie Roma in Ungarn), aber auch ältere Menschen, Behinderte, Migrantinnen und Migranten und weitere sozial benachteiligte Gruppen. Deshalb ist zu begrüssen, dass die Schweiz in den grösseren Ländern mindestens die Hälfte der Mittel in weniger entwickelten und abgelegenen Regionen einsetzen will. Diese Mittel werden für die Grundversorgung (z.B. Anschluss von Kanalisationen und Trinkwasserversorgung) und für den Sozialbereich (Alters- und Behindertenpflege, Integration von Minderheiten in Kindergarten und Schule) eingesetzt. Gerade in Ländern wie Ungarn und Polen sind die Zivilgesellschaft und die Unabhängigkeit der Justiz besonders unter Druck. Die Schweiz will in den Partnerländen einen Fonds für die Zivilgesellschaft einrichten. Damit sollen insbesondere die Rolle und Verantwortung der letzteren bei der Rechenschaftsablegung des öffentlichen Sektors gestärkt werden.
Migrantinnen und Migranten sind in den zentral- und südosteuropäischen Ländern ungenügend in die Gesellschaft und die Wirtschaft integriert. Die Flüchtlingsthematik wird in populistischer Weise für sehr fragwürdige Zwecke missbraucht. Es ist trotzdem nicht falsch, seitens der Schweiz mit diesen Ländern weiterhin den Dialog für eine menschliche Asyl- und Flüchtlingspolitik zu führen. Zudem gibt es Möglichkeiten in Ländern wie Polen oder Tschechien, mit Integrationsmassnahmen die grosse Zahl von Arbeitsmigrantinnen und -migranten (die teilweise aus den Kriegsgebieten der Ukraine stammen) sozial und wirtschaftlich besser zu integrieren. Auch wenn die Rhetorik auf nationaler Ebene zurzeit stossend ist, besteht auf lokaler Ebene ein grosser Unterstützungsbedarf (z.B. Unterstützung der polnischen Städte in der Umsetzung ihrer Integrationspolitik).
Umstritten bei dieser Vorlage ist auch die Frage, ob die Schweiz ihre Zusage zu einem zweiten Beitrag von der Haltung der EU abhängig machen soll, was mit dem verhandelten institutionellen Rahmenabkommen Schweiz-EU passieren wird. Wenn die Schweiz, wie von den Gewerkschaften gefordert, das Rahmenabkommen in der jetzigen Form nicht gutheisst und auf weitere Verhandlungen pocht, ist es umso wichtiger, der EU positive Signale zu senden: mit einem Ja zum zweiten Beitrag, mit einem Nein zum Waffengesetz-Referendum Mitte Jahr und mit einem Nein zur SVP-Begrenzungsinitiative im nächsten oder übernächsten Jahr.
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Einen guten Überblick zum Zweiten Beitrag bietet ein Artikel in „Die Volkswirtschaft 12/2018“ von Hugo Bruggmann und Sirocco Messerli unter dem Titel „Ungleichheiten in der EU verringern“: