Wenn Gewerbeverband und Gewerkschaftsbund sowie Baumeisterverband und Unia gemeinsam öffentlich verlangen, eine Gesetzesrevision müsse zurück an den Bundesrat, sonst ergreife man zusammen das Referendum dagegen, dann muss ein schwerer Angriff auf die gemeinsamen Interessen der Sozialpartner lanciert worden sein.
Er ist es. Dem Versicherungsverband ist es bei der UVG-Revision bis zur vorberatenden Kommission des Nationalrates gelungen, massiv an der bisherigen Unfallversicherung und damit an der SUVA, die gemeinsam von den Sozialpartnern verwaltet wird, zu rütteln. Einerseits hat der Versicherungsverband eine Absenkung des versicherten Höchstverdienstes von 126‘000.- auf rund 100‘000.- Franken durchgedrückt. Folge: In der Grundversicherung würden die Prämien um 2 % steigen. Denn der Einnahmeverlust bei den Prämien ist höher als die Einsparung bei den Leistungen. Sowohl für die Arbeitgeber wie für die Arbeitnehmer würde also die Belastung wachsen. Gleichzeitig wären – neue Belastung - Zusatzversicherungen für das Kader nötig.
Andererseits haben die Privatversicherer durchgedrückt, dass der heutige Mindestinvaliditätsgrad von 10 auf 20 % erhöht werden soll. Folge: Vor allem manuell Arbeitende, die wegen einer Unfallverletzung Lohneinbussen unter 20 % hinnehmen müssen, wären nicht mehr durch die Versicherung gedeckt (siehe Beispiel im Kasten).
Die Schwächung der SUVA hätte zudem zur Folge, dass deren umfangreiches Präventionsprogramm in Sachen Unfallverhütung gefährdet würde.
An ihrer gemeinsamen Pressekonferenz vom 31. August haben die Sozialpartner klar gemacht, dass sie diesen dreisten Angriff auf die Sozialversicherung nicht akzeptieren. Die Vorlage müsse zurück an den Bundesrat. Wenn nicht, lancierten Gewerbe und Gewerkschaften gemeinsam das Referendum. Der Angriff sei widersinnig. Ohne jegliche Not, sondern allein wegen der Gier der Privatversicherer, werde die bestens finanzierte und ausgezeichnet funktionierende Versicherung verschlechtert.
Linksgrün hat die Revision immer schon abgelehnt. In den bürgerlichen Fraktionen werden die Karten vor der Plenumsberatung neu gemischt. Der Versicherungsverband hat verlauten lassen, er hätte nie so weit gehen wollen. Fazit: Man darf davon ausgehen, dass sich soziale Vernunft durchsetzt - und die Vorlage dahin findet, wo sie hingehört: in den Papierkorb.
Was bedeutet ein Mindestinvaliditätsgrad von 20 %?
Herbert, 39, Schreiner, Jahreslohn: 72 000 Franken. Bei seiner beruflichen Tätigkeit verletzt er sich mit der Tischsäge schwer am Handgelenk. Die Heilung verzögert sich, das Handgelenk muss versteift werden. Herbert kann zwar weiterarbeiten, muss aber eine körperlich leichtere, schlechter bezahlte Arbeit übernehmen. Es resultiert eine unfallbedingte Lohneinbusse von 19% (= 13‘680.- pro Jahr), die heute von der Unfallversicherung durch eine Rente gedeckt wird. Kapitalisiert bis zum Alter 65 resultiert ein Schaden von rund Fr. 260'000.--.
Nach dem Willen der Kommission soll Herbert künftig keine Rente mehr erhalten, sondern den Ersatz für diese Lohneinbusse bei der Haftpflichtversicherung des Arbeitgebers einfordern. Langwierige rechtliche Auseinandersetzungen zwischen Herbert und seinem Arbeitgeber sind die Folge - zulasten einer raschen Wiedereingliederung am Arbeitsplatz.
Ausserdem in der Sessionsvorschau: 11. AHV-Revision, Postreform und Volksinitiative "jugend und musik".