Die Invalidenversicherung ist der Prügelknabe der schweizerischen Politik. Fast seit es sie gibt, ist sie chronisch unterfinanziert. Nach einer Beitragserhöhung (durch Umwidmung von EO-Beitragspromillen) in den 90-er Jahren und zweimaligem Kapitaltransfer von der EO zur IV türmten sich die jährlichen Defizite wieder zu grossen Schulden auf. Eigentlich ist die IV ja gar keine teure Versicherung. Es hätte gereicht, die Beiträge der Versicherten und der Arbeitgeber rechtzeitig etwas zu erhöhen, um Ausgaben und Einnahmen wieder ins Lot zu bringen. Ruth Dreifuss hatte denn auch vergeblich versucht, im Bundesrat Vorlagen zur IV-Finanzierung durchzubringen. Eine Verfassungsänderung über eine zweckgebundene MWSt-Erhöhung für die AHV und IV ist 2004 abgelehnt worden, weil sich die bürgerlichen Politiker plötzlich in die Büsche geschlagen hatten, statt für die Vorlage einzustehen…
Zusatzfinanzierung verschlampt
Aus den IV-Defiziten sind unterdessen Schulden von ca. 13 Milliarden Franken geworden. Das Perfide dabei: Die Defizite müssen von der AHV vorfinanziert werden, und die Schulden stehen als „IV-Verlustvortrag“ in der AHV-Rechnung. Im Klartext: Die IV verbrennt das Geld der AHV. Jahr für Jahr. Die organisierte Verantwortungslosigkeit ging weiter: Die dringend nötige Zusatzfinanzierung wurde von der Parlamentsmehrheit weiter vertrödelt. Nach langen Jahren hat sich das Parlament endlich auf eine Vorlage geeinigt: Eine auf sieben Jahre befristete Anhebung der MWSt um 0.4 %, kombiniert mit der Schaffung eines separaten IV-Fonds und dem Transfer von 5 Milliarden von der AHV zur IV als Starthilfe. Ohne Entschuldung, aber mit einer Schuldzinszahlung durch den Bund. Eine MWSt-Erhöhung ist eine Verfassungsänderung und braucht das Doppelte Mehr von Volk und Ständen. Eine hohe Hürde, wie das Parlament wusste. Diese MWSt-Erhöhung sollte nach dem Willen des Parlaments im Januar 2010 in Kraft treten. Der Bundesrat hat mit der Abstimmung bis Mai 2009 gewartet.
Wirtschaftskrise? Angst vor der SVP? Führungsschwäche!
Eine MWSt-Erhöhung am Anfang einer Rezession ist sicher nicht ideal. Aber: dass einmal ein Abschwung kommen würde, war klar, wenn auch nicht, wann er kommen würde. Weil sicher war, dass einer kommen würde, hat der SGB immer eine rasche Einführung der IV- und der ALV-Zusatzfinanzierung gefordert, was das Parlament leider nicht beherzigt hat. Nach Ansetzung der Abstimmung machten sich Economiesuisse-Vertreter für deren Verschiebung stark. Ausser der SVP, die ohnehin gegen mehr Geld für die IV ist und wider besseres Wissen behauptet, man könne die IV mit Einsparungen sanieren, waren alle Bundesratsparteien dagegen. Doch der Bundesrat hat nun in einem präzedenzlosen Vorgehen die Abstimmung verschoben. Schiss vor der SVP? Schiss vor dem Volk? Dass sich das Parlament innert wenigen Wochen auf eine gute Alternative einigen können wird, ist kaum wahrscheinlich. Einen Ausgleich durch eine temporäre Senkung der MWSt für den Bund, was auf eine für die Konsumenten neutrale übung und eine Mehrbelastung des Bundeshaushaltes hinauslaufen würde, hat der Bundesrat selbst abgelehnt.
„Hidden agenda“ AHV-Ausplünderung stoppen
Der Bundesrat hat grosse Verwirrung geschaffen. Er nimmt auch in Kauf, dass der mühsam gebastelte Minimalkompromiss wieder auseinanderfällt, die Zusatzfinanzierung für die IV weiter auf die lange Bank geschoben und die AHV weiter geplündert wird. Was auch immer nun im Parlament diskutiert wird: Ob mit oder ohne Ausgleich durch tiefere Bundeseinnahmen, die Zusatzfinanzierung für die IV muss rasch her und darf nicht mehr weiter hinausgezögert werden. Es darf kein weiterer AHV-Franken mehr verbraten werden!