Grundsätzliche Bemerkungen
Seit geraumer Zeit beherrscht die Diskussion um Kostendämpfungen die gesundheitspolitische Debatte. Das ist deshalb gut nachvollziehbar, weil sich der jährlich starke Anstieg der OKP-Ausgaben systematisch in entsprechenden (oder gar höheren) Prämiensteigerungen bemerkbar macht. Die Prämien haben seit der Einführung des Krankenversicherungsgesetzes im Jahr 1996 real (!) um etwa 140 Prozent zugenommen. Das drängendste Problem ist für grosse Teile der Bevölkerung deshalb nicht das – volkswirtschaftlich und demografisch in seiner Grössenordnung erklärbare – Ausmass der Gesundheitskosten, sondern die Art, wie diese finanziert werden. Denn zu den unsozialen Kopfprämien kommt für die Versicherten eine im OECD-Vergleich rekordmässig hohe direkte Kostenbeteiligung (Franchise, Selbstbehalt, Medikamente, Zahnpflege etc.) hinzu. Die Wirkung des einzigen sozialen Korrektivs der individuellen Prämienverbilligungen ist zudem über die Jahre hinweg immer mehr erodiert, was hauptsächlich auf die unzähligen und teilweise gar rechtswidrigen Budgetkürzungen in den Kantonen zurückzuführen ist.
Vor dem Hintergrund der unsozialen Finanzierung des Gesundheitswesens, lassen sich zu den Kostendämpfungen folgende Vorbemerkungen machen: Der "Expertenbericht Diener", auf den sich auch das zweite Massnahmenpaket zu grossen Teilen stützt, kommt in einer volkswirtschaftlichen Betrachtungsweise zum nüchternen Schluss, dass eine der Entwicklung des nominalen Potenzial-BIPs entsprechende Steigerung der Gesundheitskosten praktisch gegeben ist und geht dabei von 2.7% aus. Die Kosten werden also weiter zunehmen (und damit der Druck für eine soziale Finanzierung). Diese Feststellung schliesst aber nicht aus, dass auf der Basis der heute generierten Kostenblöcke substanzielle Einsparungen erzielt werden können bzw. müssen. Die im selben Bericht rezitierte Zahl von "20 Prozent Effizienzsteigerungspotenzial ohne Qualitätsverlust" – welche im kürzlich vom BAG veröffentlichten Infras-Bericht auf 16-19% beziffert wird – halten wir allerdings für unrealistisch und gefährlich. Dies schon alleine deshalb, weil rund 70% der OKP-Ausgaben auf Personalaufwand entfallen. Angesichts des sich parallel manifestierenden substanziellen Personalmangels und der heute bereits hohen Berufsausstiegsquoten beim Pflegepersonal muss eine weitere Verschlechterung der Arbeitsbedingungen in den Pflegeberufen um jeden Preis verhindert werden; diese müssen im Gegenteil klar verbessert werden. Dies auch deshalb, weil sonst – um in einer Kostendämpfungslogik zu bleiben – Qualitätsverluste und im Anschluss höhere Folgekosten drohen.
Klar ist, dass es dem allergrössten Teil des Personals im Gesundheitswesen definitiv nicht an "Kostenbewusstsein" mangelt. Im Gegenteil: Seit Jahren wird der durch die neue Spital- und Pflegefinanzierung ausgelöste Wettbewerb zwischen den Spitälern und Heimen auf dem Buckel der Beschäftigten ausgetragen. Gleichzeitig steigt die Komplexität der Pflegefälle kontinuierlich, was zusätzlich zu einem Anstieg der Arbeitsintensität beiträgt. Das Resultat sind Stress, Qualitätsprobleme und eine tiefe Berufsverweildauer. Neben den erwähnten Arbeitsbedingungen liefern in der Pflege aber alleine schon die Löhne eine hinreichende Erklärung hierfür: Gemessen am Durchschnittslohn werden Pflegepersonen im OECD-Raum nur noch in Litauen und Lettland schlechter bezahlt als in der Schweiz.
Stellungnahme im Detail
Die detaillierte Stellungnahme des Schweizerischen Gewerkschaftsbunds findet sich in der vollständigen Vernehmlassungsantwort (siehe unten).