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Sparen bei den Armen? Ein Skandal!

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Verfasst durch Regula Bühlmann

AIG: SGB lehnt Kürzung der Sozialhilfe für Ausländer:innen aus Drittstaaten ab

Der Bundesrat will Drittstaatangehörigen pauschal die Sozialhilfe kürzen. Damit hebelt er das Verfassungsrecht auf Hilfe in Notlagen aus und schafft eine unwürdige Zweiklassengesellschaft. Dabei hat er das Ausländerrecht in den letzten Jahren bezüglich Sanktionierung von Sozialhilfebezug schon kontinuierlich verschärft. Der SGB wird das Vorhaben bekämpfen. 

In den ersten drei Jahren nach Erhalt ihrer Aufenthaltsbewilligung soll Drittstaatsangehörigen die Sozialhilfe gekürzt werden. Diese Änderung des Ausländer:innen- und Integrationsgesetzes (AIG) hat der Bundesrat im Januar in die Vernehmlassung geschickt. Die Verschärfung wird als Sparmassnahme und Mittel zur Reduktion der Attraktivität der Schweiz als Zuwanderungsland angepriesen. Ausserdem soll die Kürzung Anreiz für die Arbeitsintegration sein. Das ist zynisch: Arbeitsintegration ist nicht bloss eine Frage des guten Willens der Betroffenen, es braucht vor allem einen Arbeitsmarkt, zu dem Menschen ohne Schweizer Pass Zugang haben. Der Bundesrat nimmt mit dem Vorschlag die Verletzung von gleich zwei Verfassungsgrundsätzen in Kauf: Artikel 8 Abs. 1 verankert die Rechtsgleichheit aller Menschen, Art. 12 das Recht auf Hilfe in Notlagen.

Der Vernehmlassungsentwurf ist ein neuer Tiefpunkt in einer Entwicklung hin zu immer mehr Diskriminierungen von Armutsbetroffenen. Schon die Revision des Ausländer:innengesetzes AUG zum Ausländer:innen- und Integrationsgesetz AIG hat das Leben von Menschen ohne Schweizer Pass hierzulande unsicherer gemacht: Während zuvor eine Niederlassungsbewilligung nur in Ausnahmefällen und nach 15-jährigem Aufenthalt gar nicht mehr entzogen werden konnte, kann Sozialhilfebezug seither unabhängig von der Aufenthaltsdauer zur Ausweisung oder zur Rückstufung der Niederlassungsbewilligung führen.

Zwar muss der Sozialhilfebezug im Regelfall „selbstverschuldet“ sein, damit er sanktioniert werden kann. Doch das Staatssekretariat für Migration (Sem) überlässt die Umsetzung den Kantonen. Und diese legen das Kriterium der Selbstverschuldung unterschiedlich und teilweise sehr frei aus. Ausserdem muss seit 2021 für die Verlängerung der Aufenthaltsbewilligung von Sozialhilfebeziehenden das Einverständnis des Sem eingeholt werden. Armut wird je länger je mehr kriminalisiert Diese Verschärfungen haben zur Folge, dass viele armutsbetroffene Menschen ohne Schweizer Pass, obwohl sie Anspruch auf Sozialhilfe hätten, auf den Gang zum Sozialamt verzichten, um ihr Aufenthalts- oder Niederlassungsrecht nicht aufs Spiel zu setzen.

Die Corona-Pandemie hat uns die Auswirkungen dieser menschenunwürdigen Politik deutlich vor Augen geführt: Viele Migrant:innen arbeiten in besonders von pandemiebedingten Schliessungen betroffenen Branchen, und die Kurzarbeitsentschädigung, die noch bis Ende 2020 nur 80 Prozent des Lohns deckte, reichte bei tiefen Einkommen nicht zum Leben. Aus Angst davor, neben der finanziellen auch noch die Aufenthaltssicherheit zu riskieren, verzichteten dennoch viele darauf, ihr Recht auf Unterstützung in Anspruch zu nehmen.

Dass der Bundesrat jetzt neue Massnahmen plant, um das Grundrecht von Drittstaatsangehörigen auf Hilfe in einer Notlage zu beschränken, ist ein Schlag ins Gesicht jener Menschen, die von der Pandemie besonders betroffen waren. Jener Menschen, die während der letzten zwei Jahre keinen sicheren Job im Homeoffice hatten, sondern an vorderster Front im Detailhandel, im Gesundheitswesen oder in der Reinigung zur Bewältigung der Pandemie beigetragen haben. Jener Menschen, die erst von Betriebsschliessungen betroffen waren und dann als erste wieder in den Restaurants oder Coiffeursalons fremde Bedürfnisse befriedigen mussten.

Der SGB wird diesen und weitere Schritte hin zur Kriminalisierung der Armen und zu einer Zweiklassengesellschaft entschieden bekämpfen: Das Recht auf Rechtsgleichheit und staatliche Unterstützung in Notlagen darf nicht durch die Ausländer:innengesetzgebung ausgehebelt werden!

Zuständig beim SGB

Gabriela Medici

stv. Sekretariatsleiterin

031 377 01 13

gabriela.medici(at)sgb.ch
Gabriela Medici
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