Stethoskop liegt auf Frankenscheinen

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Prämienverbilligungen: Die Kantone verhalten sich skandalös

  • Gesundheit
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Verfasst durch Reto Wyss

Während der Bund die Prämienverbilligungen jedes Jahr wenigstens an die Kostenentwicklung anpasst, machen die meisten Kantone das Gegenteil: sie kürzen die Verbilligungen real betrachtet. Vor dem Hintergrund der sehr hohen und weiter steigenden Prämienlast und angesichts der prall gefüllten Kantonskassen ist diese Politik absolut unhaltbar.

Ständerat torpediert Gegenvorschlag mit Lügenkampagne

Die Prämienlast der Haushalte ist untragbar hoch. Deshalb haben die Gewerkschaften gemeinsam mit der SP bereits im Jahr 2019 die Prämienentlastungsinitiative gestartet. Die simple und vernünftige Forderung dieser Initiative: Kein Haushalt soll mehr als 10 Prozent seines Einkommens für Krankenkassenprämien aufwenden müssen. Ende 2022 hat der Nationalrat endlich einen substanziellen Gegenvorschlag zu dieser Initiative vorgelegt, doch dieser wurde von den bürgerlichen KantonsvertreterInnen im Ständerat sogleich torpediert. Ihr Hauptargument gegen die Vorlage: die Kantone würden bereits heute «ihre Verantwortung wahrnehmen». Das ist ganz einfach eine Lüge, wie nachfolgend dargelegt wird.

Verbilligungen runter, Prämienbelastung hoch

Der Anteil der öffentlichen beziehungsweise einkommensabhängig finanzierten Gesundheitsausgaben ist in der Schweiz im internationalen Vergleich rekordmässig tief. Solidarisch finanziert werden neben den direkten Ausgaben der Kantone für die Spitäler einzig die Prämienverbilligungen. Doch ihr Gewicht an den Gesamtausgaben hat sich drastisch reduziert: Während im Jahr 2000 in der Grundversicherung noch jeder achte Franken (12.4%) durch Prämienverbilligungen finanziert wurde, sind es gut 20 Jahre später nur noch 7.6 Prozent – ein Rückgang um fast 40 Prozent. Das logische Gegenstück dieser Entwicklung: Die durchschnittliche Prämienbelastung (nach Verbilligung!) hat sich für die relevanten Haushalte im selben Zeitraum von 6.5 Prozent auf 14 Prozent mehr als verdoppelt.

Im Folgenden etwas genauer betrachtet: Die Prämienverbilligungen werden gemeinsam durch Bund und Kantone finanziert. Während der Anteil des Bundes gesetzlich an die Ausgabenentwicklung gekoppelt ist und somit seit Jahren stabil bleibt, reduzieren die allermeisten Kantone ihre Mittel seit Jahren. Die Kantone sind jedoch Meister darin, diese Abbaupolitik blumig zu kaschieren, indem sie reihum behaupten, die Prämienverbilligungen «massiv zu erhöhen». Natürlich geben zwar viele Kantone jedes Jahr etwas höhere Frankenbeträge für die Prämienverbilligungen aus (obwohl immerhin bereits 11 Kantone ihren Beitrag über die letzten 10 Jahre nominal gekürzt haben), doch sind diese keineswegs aussagekräftig. Denn neben der Wirtschaft (und damit den Steuereinnahmen) wächst auch die Bevölkerung stetig, und noch mehr tun dies die Prämien! Und mit dieser Entwicklung halten die Kantone – ganz anders als der Bund – mitnichten Schritt. Korrigiert um das Prämien- und Bevölkerungswachstum betrachtet, haben 17 von 26 Kantonen ihre Mittel für Prämienverbilligungen über die letzten 10 Jahre gekürzt. Gar nichts also von «wahrgenommener Verantwortung».

Nichts gelernt: Falsche Entwicklung geht weiter

Man könnte nun erwarten, die Kantone würden aus dieser Entwicklung ihre Lehren ziehen. Und sei es nur, weil sie sich vor der möglichen Annahme und Umsetzung der Prämienentlastungsinitiative fürchten, oder weil ihre Kassen ohnehin fast flächendeckend prall gefüllt sind. Doch leider ist das Gegenteil der Fall, wie eine Betrachtung der aktuellsten kantonalen Jahresrechnungen und Budgetberichte zeigt:

  • 2021 schöpften 17 Kantone nicht einmal ihr – eben oft sehr bescheidenes – Budget für Prämienverbilligungen aus. 2022 waren es sogar 21 Kantone.
  • Insgesamt ist die Ausschöpfung des Budgets für Prämienverbilligungen im Jahr 2023 im Verhältnis zum Jahr 2022 in 14 Kantonen weiter rückläufig.
  • In 19 Kantonen hinkt die Zunahme des Budgets 2023 (im Vergleich zum Budget 2022) der Zunahme des Prämiensolls hinterher, das heisst überall dort findet real betrachtet eine weitere Kürzung der Verbilligungen statt.

Diese Zahlen aus den Büchern der Kantone sind nicht einfach graue Buchhaltung, sondern sie haben handfeste Konsequenzen für Haushalte mit mittleren und tiefen Einkommen. Um nur ein Beispiel zu nennen: Hätte der Kanton Zürich sein Budget für Prämienverbilligungen im letzten Jahr voll ausgeschöpft (statt nur zu 79 Prozent) und die entsprechenden Mittel proportional an die BezügerInnen von Prämienverbilligungen verteilt, wäre die Entlastung für eine vierköpfige Familie mit einem Bruttoeinkommen von 80’000 Franken insgesamt um 820 Franken höher ausgefallen. Doch dieser Betrag, den die genannte Familie in der aktuellen Lage mit Sicherheit sehr gut hätte gebrauchen können, blieb ihr verwehrt.

Hätten im Jahr 2022 sämtliche Kantone die Gesamtheit ihrer für Prämienverbilligungen budgetierten Mittel ausgeschöpft, wären zusätzlich 234 Millionen Franken an die bedürftigen Versicherten ausbezahlt worden – eine um 9 Prozent höhere Summe.

Weitere Kürzung der Mittel durch Zweckentfremdung

Im Rahmen dieser insbesondere für Haushalte mit tiefen und mittleren Einkommen sehr schlechten Entwicklung muss noch ein weiterer Punkt erwähnt werden: Obwohl dies rechtlich zumindest umstritten ist, verwenden die Kantone seit Jahren die Mittel der Prämienverbilligungen (also ihre Mittel und die Bundesmittel) auch für Prämienerstattungen der Sozialhilfe und der Ergänzungsleistungen. Dies wider der Tatsache, dass ihnen dafür gesetzlich unmissverständlich eine separate, das heisst zusätzliche Verantwortung obliegt. Das Resultat dieser umstrittenen Praxis: Während im Jahr 2000 noch mehr als zwei Drittel (68 Prozent) aller Mittel für Prämienverbilligungen effektiv für die individuelle Verbilligung der Prämien von Haushalten mit bescheidenen Einkommen verwendet wurden, waren es im Jahr 2021 aufgrund der demografischen Entwicklung (mehr EL-Beziehende) nicht einmal mehr die Hälfte (46 Prozent).

Fazit: Die Kantone müssen endlich das tun, was sie (mit einigen löblichen Ausnahmen) fälschlicherweise von sich behaupten: ihre Verantwortung wahrnehmen. Tun sie dies weiterhin nicht, wird die Bevölkerung an der Urne mit der Abstimmung über die Prämienentlastungsinititiave endlich gegensteuern können.

Zuständig beim SGB

Reto Wyss

Zentralsekretär

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Reto Wyss
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