Frau vor zu vielen Rechnungen

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Prämienrunde 2021: 0.5 Prozent sind immer noch viel zu viel

  • Gesundheit
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Verfasst durch Reto Wyss

Immenser Reserveberg muss abgebaut werden

Die mittlere Krankenkassenprämie steigt im Jahr 2021 um durchschnittlich 0.5 Prozent. Das ist zwar nicht so viel wie im langjährigen Durchschnitt, doch für die PrämienzahlerInnen ist es in Zeiten der coronabedingten Wirtschaftskrise immer noch viel zu viel.

Das Schweizer Gesundheitswesen war in diesem Jahr wahrlich gefordert. Die Coronapandemie hat dem Personal in den Spitälern im Frühjahr alles abverlangt; zusätzliche Kapazitäten mussten in Windeseile aufgebaut und entsprechend finanziert werden. Doch finanziell ist die Sache gar nicht so klar. Zwar hat Corona gekostet, jedoch haben die Spitäler und Praxen während fast zwei Monaten auf die Durchführung sämtlicher nicht dringender Eingriffe verzichten müssen. Diese wurden nicht alle nachgeholt und entsprechend sind Kosten bzw. Einnahmen ausgeblieben, wie die Spitäler und ÄrztInnen bestätigen, bzw. beklagen.

Nicht nur die Prämien, auch die Reserven steigen und steigen

Die Krankenkassen bestreiten einen Kostenrückgang – jedoch ohne konkrete Zahlen zu nennen – und wollen nun unter anderem deswegen die Prämien für das kommende Jahr erhöhen. Gleichzeitig verweisen sie darauf, dass ohne Rückgriff auf die in der Vergangenheit gebildeten Reserven der Anstieg noch höher ausfallen würde. Diese Argumentation ist so absolut nicht haltbar, und zwar aus folgendem Grund: Die Prämien in der Grundversicherung steigen mittelfristig im Gleichschritt mit den Bruttokosten. Weil sie jeweils im Voraus festgelegt werden müssen, gibt es dabei jährlich kleinere oder grössere Abweichungen. Steigen nun in einem Jahr die Bruttokosten stärker als die Prämien, so kann zum Ausgleich auf die Reserven zurückgegriffen werden. Doch was geschah beispielsweise im Jahr 2019: Die mittlere Prämie stieg um 1, die Bruttokosten aber um ganze 4.9 Prozent. Man hätte also einen Rückgang der Reserven erwarten können, doch eingetreten ist das Gegenteil: Die Reserven haben im Jahr 2019 um sage und schreibe 21 Prozent zugenommen! Die Verwaltung spricht von Börsengewinnen, doch so stark haben dort die Kassen noch nicht einmal vor dem Finanzcrash 2008 geklingelt, weit gefehlt. Im laufenden Jahr könnte sich die Geschichte nun genau so wiederholen: Die mittlere Prämie stieg 2020 um 0.2 Prozent und die Kosten werden – gemäss Kassen – um mehrere Prozentpunkte steigen. Dennoch wissen wir bereits jetzt: Die Reserven sinken wieder nicht, sondern sie steigen erneut saftig an, und zwar um ganze 13 Prozent!

Die Reserven gehören den Versicherten

Wieso ist das ein Problem? Weil die Reserven nichts anderes als angehäufte Prämiengelder sind und damit den Versicherten gehören. Reserven werden für den gesundheitlichen Krisenfall gebildet, der nun mit der Coronapandemie definitiv eingetreten ist – und statt zu sinken, steigen die Reserven weiter. Der Fall ist deshalb völlig klar: Der immense Reserveberg von mittlerweile über 11 Milliarden Franken muss sofort abgebaut und mindestens um die Hälfte reduziert werden, wie der SGB schon seit längerem fordert. Corona hat den letzten Beweis dafür geliefert, dass die Kassen das Geld auf der hohen Kante nicht brauchen, wohingegen die Bevölkerung in der Wirtschaftskrise jeden Franken brauchen kann: Wirtschaftspolitisch kann man nichts Unsinnigeres tun, als den normalen Leuten in der Krise das Geld aus der Tasche zu ziehen, um es unproduktiv anzulegen.

Prämienbelastung steigt um weit mehr als 0.5 Prozent

Trotz moderaten Prämienanstiegs wird die relative Prämienbelastung für viele Haushalte in der Schweiz massiv steigen – denn viele Arbeitnehmende sind mit starken Einkommenseinbrüchen konfrontiert. Wer seine Stelle verloren hat oder seit Monaten statt eines bescheidenen Lohns nur 80 Prozent Kurzarbeitsentschädigung erhält, für den oder die ist die Last der Prämien schlicht erdrückend. Wer dann noch krank wird, kann es finanziell noch weniger stemmen – denn nirgendwo in Europa ist die direkte Kostenbeteiligung höher als in der Schweiz (Franchise, Selbstbehalt, Zahnbehandlung etc.). Dazu kommt: Gesundheitlich anfällige Personen zahlen zumeist höhere Prämien, und diese Prämien nehmen auch im kommenden Jahr stärker zu als die vom BAG erst seit Kurzem ausgewiesene «mittlere Prämie», welche einem Durchschnittswert über alle Franchisestufen und Versicherungsmodelle entspricht.

Die Prämienentlastungs-Initiative endlich behandeln!

Die Reserven müssen also sofort abgebaut und den Leuten zurückgegeben werden. Doch das allein reicht nicht. Seit Jahren reduzieren die meisten Kantone auch die Mittel der individuellen Prämienverbilligungen massiv, obwohl dies das einzige Instrument ist, welches der horrenden Kopfprämienlast entgegenwirkt. SGB und SP haben deshalb schon vor Monaten die Prämienentlastungs-Initiative eingereicht, welche fordert, dass kein Haushalt mehr als 10 Prozent seines verfügbaren Einkommens für Krankenkassenprämien aufwenden muss. Bundesrat und Parlament müssen nun endlich vorwärts machen und diese Initiative zügig behandeln. Entweder kommt dann ein griffiger Gegenvorschlag, oder es gibt endlich eine Volksabstimmung über eine faire Finanzierung des Gesundheitswesens.

Zuständig beim SGB

Reto Wyss

Zentralsekretär

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reto.wyss(at)sgb.ch
Reto Wyss
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