Ohrfeige für die künftigen Schwerbehinderten?

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Verfasst durch Doris Bianchi, geschäftsführende SGB-Sekretärin

IV-Revision 6b in der Zielgerade

Die Beratung der IV-Revision 6b geht in die Schlussphase. Es steht viel auf dem Spiel. Arbeitnehmende, die wegen Krankheit nicht mehr arbeiten können, müssen bereits heute sehr hohe medizinische Hürden überwinden, um IV-Leistungen beziehen zu dürfen. Künftig drohen ihnen noch weitere Leistungsverschlechterungen.

Die IV Finanzen entwickeln sich positiv. Die Zusatzeinnahmen und die drastische Reduktion der zugesprochenen Neurenten bringen die IV wieder ins Lot. Ein weiteres Sparprogramm, wie es der Bundesrat ursprünglich vorgesehen hatte, ist nicht nötig. Die Eidgenössischen Räte haben die positive finanzielle Entwicklung der IV-Rechnung berücksichtigt. Immerhin haben sie der Aufteilung der Vorlage zugestimmt. Die umstrittene Kürzung der Kinderrenten und die Reduktion der Reisekostenbeiträge sind ausgeschieden worden.

Volle IV-Rente erst ab Invaliditätsgrad 80 %?

Kernelement der Revision ist das neue, lineare Rentensystem. Während der Nationalrat eine volle IV-Rente ab einem Invaliditätsgrad von 70 % vorsehen wollte, hielt der Ständerat an der ursprünglichen, strengeren Zusprechung fest: Eine volle IV-Rente sollen nur Invalide mit einem Invaliditätsgrad von über 80 % erhalten. Damit bestraft der Ständerat die künftigen Schwerbehinderten mit einem Invaliditätsgrad von 60 bis 79 %. Diese müssen eine Renteneinbusse von 30 % hinnehmen. Die Aussichten auf eine Resterwerbstätigkeit sind praktisch bei null. Diese Renteneinbusse werden letztlich häufig die Ergänzungsleistungen ausgleichen müssen. Die vorberatende Kommission des Nationalrats möchte nun dem Ständerat folgen und ebenfalls die volle IV-Rente erst mit einem Invaliditätsgrad von 80% akzeptieren. Wenn der Nationalrat diesem Antrag am 4. Juni folgt, wird die Referendumsfrage akut. Für die Behindertenverbände zeichnet sich ein Referendum ab, falls die volle IV-Rente erst bei IV-Grad 80 % gewährt würde.

Interventionsmechanismus ist abzulehnen

Das zweite Kernelement der Vorlage ist der Interventionsmechanismus bei der IV. Der Nationalrat hatte den Interventionsmechanismus abgelehnt, während der Ständerat darauf beharrt. Unter dem Begriff Interventionsmechanismus verbergen sich dauerhafte automatische Rentenkürzungen. Die ohnehin schon tiefen IV-Renten sollen bei sinkenden IV-Einnahmen gekürzt werden, indem keine Rentenanpassung an den AHV-Mischindex mehr gewährt wird. Das ist eine inakzeptable Rentenverschlechterung. Zudem bringt der Interventionsmechanismus auch eine automatische Erhöhung der Lohnbeiträge. Die automatischen Rentenkürzungen bei der IV sind der Testlauf für die AHV. Die bürgerlichen Parteien und die Arbeitgeberverbände fordern mit Nachdruck eine Schuldenbremse für die AHV. Die Entscheide bei der IV spuren daher die Inhalte der Reform Altersvorsorge 2020 vor. Die vorberatende Kommission des Nationalrats lehnt weiterhin den Interventionsmechanismus ab.

Für den SGB muss das Parlament bei der Ausgestaltung des neuen linearen Systems Augenmass walten lassen. Die Schwelle von 80% für eine volle IV-Rente ist zu hoch. Automatische Leistungskürzungen in den Sozialversicherungen sind zudem für den SGB inakzeptabel. Damit würden die Technokraten das Leistungsniveau bestimmen. Die direktdemokratischen Mitwirkungsmöglichkeiten wären ausgeschaltet. Auf einen solchen unschweizerischen Weg lassen wir uns nicht ein.

Zuständig beim SGB

Gabriela Medici

stv. Sekretariatsleiterin

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Gabriela Medici
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