Grosse Unterschiede bei den Krankenkassenprämien

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Verfasst durch Reto Wyss

Alte, Kranke und Frauen zahlen massiv mehr – Solidarität nicht weiter aufweichen

Unabhängig von Gesundheitszustand und Alter gelten in der Schweiz seit Inkrafttreten des Krankenversicherungsgesetzes KVG im Jahr 1996 regional einheitliche Prämien. Das ist eine wichtige Errungenschaft, die den solidarischen Versicherungscharakter in der Gesundheitsversorgung entscheidend gestärkt hat.

Der grosse Makel daran: Es sind leider auch vom Geldbeutel unabhängige, einheitliche Kopfprämien: Der Milliardär zahlt gleich viel wie die Migros-Kassiererin. Für viele Haushalte mit tiefen und mittleren Einkommen sind die Krankenkassenprämien heute daher zu einer untragbaren finanziellen Belastung geworden. Dieses Problem ist allseits bekannt; der SGB setzt sich seit Jahren für einkommensabhängige Nettoprämien ein.

Prämienunterscheid von 43 Prozent

Weniger bekannt ist aber die Tatsache, dass sich die Prämienhöhe trotz gesetzlicher Einheitsprämie dennoch sowohl nach Alter als auch nach Gesundheitszustand signifikant unterscheidet. Aktuelle Untersuchungen hierzu liefert ein Bericht des Gesundheitsökonomen Pius Gyger.

Betrachtet man nicht nur die vom Bundesamt für Gesundheit (BAG) jährlich kommunizierte Standardprämie (Durchschnittsprämie bei freier Arztwahl mit 300 Franken Franchise), sondern die effektiv bezahlten Prämien, so ergibt sich folgendes Bild: Eine 25-jährige Versicherte bezahlte 2016 eine durchschnittliche Monatsprämie von 299 Franken, während ein 95-Jähriger im gleichen Jahr 427 Franken bezahlte. Dieser Unterschied von 43 Prozent kommt durch die Wahl des Versicherungsmodells und der Franchise zustande, also dadurch, dass sich gesunde Junge eher für ein Modell mit Einschränkung (z.B. Telemedizin) und eine hohe Franchise (z.B. 2500.-) entscheiden können. Beides bringt ihnen eine Prämienreduktion.

Rechnet man zu diesen Prämien noch die direkte Kostenbeteiligung der Versicherten hinzu, dann vergrössert sich der Unterschied zwischen Jung und Alt gar auf 55 Prozent: Alte und damit kränkere Versicherte müssen mehr Gesundheitsleistungen in Anspruch nehmen und damit auch mehr Selbstbehalt bezahlen (inkl. Spital- und Pflegepauschalen).

Die Prämien steigen also nicht nur mit der Zeit (jährlicher Durchschnitt seit 1996: 4.6%), sondern zusätzlich auch mit dem Alter. Verteilt man die obenstehende Differenz von 43 Prozent auf die relevanten 70 Lebensjahre, so ergibt das eine zusätzliche Prämienerhöhung von 0.5 Prozent pro Altersjahr.

Das Portemonnaie bestimmt das Prämienmodell

Nun spiegelt die Verfügbarkeit von unterschiedlichen Versicherungsmodellen und Franchisen in der Theorie eine Wahlfreiheit vor, die so in der Praxis nicht existiert: Es ist weitgehend nicht löbliche Bescheidenheit, die es Versicherten erlaubt, eine höhere Franchise oder ein HMO-Modell zu wählen, sondern einzig und allein der Gesundheitszustand und das Portemonnaie.

So kam das BAG letztes Jahr in einem Bericht zum Schluss, dass "Versicherte ihre Franchisen mehrheitlich individuell nach den von ihnen erwarteten Bruttoleistungen" wählen. Mit anderen Worten: Die Leute verhalten sich genauso, wie es das System von ihnen verlangt. Wird man kränker (bzw. älter), nimmt man eine höhere Prämie in Kauf, um dafür eine tiefere Franchise zu erhalten. Nur: Unter dem Strich bezahlt man dennoch mehr.

Die Versicherten entscheiden sich also nicht dann für tiefere Prämien, wenn sie es wollen, sondern dann, wenn sie es können. Im Alter können sie es aufgrund des Gesundheitszustandes zunehmend nicht mehr - und müssen finanzielle Mehrbelastungen schultern.

Die gesetzlich vorgesehene Solidarität in der Grundversicherung wird also gerade durch den demografischen Wandel zunehmend strapaziert. Dies aber nicht deshalb - wie von bürgerlichen Wahlfreiheitsideologen behauptet - weil die Jungen immer mehr für die Alten bezahlen müssten. Sondern deshalb, weil die Alten viel höhere Prämien bezahlen müssen als die Jungen (die zudem dereinst noch älter werden werden).

Übrigens: Die effektiv bezahlten Prämien unterscheiden sich nicht nur nach Alter, sondern auch nach Geschlecht: Die Prämien der Frauen waren 2016 durchschnittlich 8 Prozent höher als jene der Männer.

Zuständig beim SGB

Reto Wyss

Zentralsekretär

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Reto Wyss
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