Eine Revision gegen die Rentner/innen

  • Invalidenversicherung
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Verfasst durch Doris Bianchi, geschäftsführende Sekretärin des SGB

Die Demontage der Invalidenversicherung (IV) wird Tempo Teufel vorangetrieben. Kaum ist die 5. IV Revision mit ihren massiven Einschnitten in Kraft, wird Revision 6a in den eidgenössischen Räten durchgepeitscht - und Revision 6b steht schon in den Startlöchern. Gesetzgeberische Schludrigkeiten und unausgegorene Massnahmen werden bewusst in Kauf genommen. Schliesslich sind ja nur Behinderte davon betroffen...

Die angehäuften Schulden der IV haben Sanierungsmassnahmen nach sich gezogen. Der erste Schritt umfasste die 4. und 5. IV Revision, die 2004 resp. 2008 in Kraft getreten sind. Damit wurden die Neuberentungen drastisch gesenkt, was sich unmittelbar auf das Schicksal der Menschen auswirkte. Wer heute eine schwere Krankheit erleidet oder wer verunfallt, ist doppelt bestraft. Nebst dem menschlichen Leid ist auch die wirtschaftliche Absicherung in hohem Mass gefährdet. Betroffene schildern den Weg durch die IV-Stellen als Spiessrutenlauf, bei dem die IV-Mediziner zu allmächtigen Akteuren geworden sind. 

Der zweite Schritt beinhaltet die Beseitigung des IV Defizits. Dazu wird in den Jahren 2011 bis 2017 die Mehrwertsteuer zugunsten der IV leicht auf 8% erhöht. Ab 2017 sollen zusätzliche Sparmassnahmen die IV-Finanzen im Lot halten. Dieser dritte Schritt ist mit der 6. Revision ebenfalls aufgegleist.

Der Ständerat wird in dieser Frühjahrsession die Revision 6a (1. Massnahmenpaket) als Zweitrat behandeln. Bei geringen Differenzen ist die Schlussabstimmung im März möglich. 

Pflichten nur für IV-Rentner/innen

Die Revision 6a wird vom Bundesrat als „eingliederungsorientierte Rentenrevision“ bezeichnet. Sie soll die Rechnung der IV ab 2018 bis 2027 insgesamt um rund 500 Mio. Franken jährlich entlasten. 17’000 IV-Rentner/innen sollen quasi auf einen Schlag wieder eingegliedert werden. Jegliche Verpflichtung eine moderate Anzahl von Arbeitsplätzen für Invalide vorzusehen, wurde von der bürgerlichen Mehrheit abgeschmettert. Vielmehr setzt das Parlament auf den „Arbeitsversuch“. Diese Eingliederungsmassnahme soll auf alle IV-Versicherten angewendet werden. Diese können von der IV-Stelle an einen Arbeitgeber vermittelt werden, müssen dort die zugewiesene Arbeit verrichten und erhalten dafür keinen Lohn, sondern ihre IV-Ansprüche. Widersetzen sich die Versicherten dieser Massnahme, droht ihnen der Leistungsentzug. Den Arbeitgeber kosten diese Leute nichts. Für ihn müssen sie Gratisarbeit leisten. Die Bestimmung besteht also aus Gratisarbeit für einen privaten Arbeitgeber unter der drohenden Sanktion des Verlusts aller Rechte gegenüber der IV, wenn jemand sich dem nicht unterzieht. Juristisch bewertet ist eine solche Bestimmung nichts anderes als eine indirekte Form von Zwangsarbeit. Die Begrenzung des Arbeitsversuches auf 6 Monate ist keine Gewähr, dass der Arbeitgeber keine Schindluderei damit betreibt. Denn vor allem für wenig qualifizierte Arbeitsstellen besteht die Gefahr, dass Arbeitsversuche nacheinander durchgeführt werden ohne eine echte Festanstellung zu offerieren. Schliesslich hat der Arbeitgeber keine Pflicht, den geeigneten „Versuchs-Arbeitnehmenden“ eine Stelle anzubieten.

Leistungskürzungen für Opfer von Schleudertrauma

Die Revision beinhaltet auch nennenswerte Leistungseinschnitte. Brisant ist der Vorschlag der Überprüfung von bestehenden Renten mit der Absicht, diese aufzuheben. Es handelt sich um solche, welche vor 2008 aufgrund von organisch nicht erklärbaren Schmerzzuständen (z.B. Schleudertrauma) zugesprochen wurden. Im Nationalrat hat die vorberatende Kommission eine perfide Definition dieser Krankheitsbilder durchgedrückt, die sich an die Formulierung aus dem umstrittenen Schleudertrauma-Urteil des Bundesgerichts vom August 2010 anlehnt. Unter diese schwammige Definition kann eine breite Palette von psychischen Erkrankungen fallen. Im Ständerat zeichnet sich ebenfalls Unterstützung für diese Ausweitung der zu überprüfenden Krankheitsbilder ab. Die Revision 6a hat sich auf eine bestimmte Gruppe von IV-Rentner/innen eingeschossen, degradiert diese zu faulen Simulanten und führt sie mit der Rentenaufhebung in die Armut.

Des Weiteren bringt die Revision 6a mehr Wettbewerb bei der Beschaffung von Hilfsmitteln und den langersehnten Assistenzbeitrag. Mit dem Assistenzbeitrag wird eine neue Leistung für volljährige Menschen mit einer körperlichen Behinderung eingeführt. Er ergänzt die Hilflosenentschädigung sowie die Hilfe von Angehörigen und schafft so eine Alternative zum Leben im Heim. Denn mit dem Assistenzbeitrag können IV-BezügerInnen für die individuell benötigten Hilfestellungen selber jemanden anstellen. Sie erhalten für die anfallenden Kosten von der IV einen Assistenzbeitrag von Fr. 30 pro Stunde. Der Assistenzbeitrag ist kostenneutral, weil er gleichzeitig Einsparungen bei der Hilflosenentschädigung ermöglicht.

Demontage

Ohne verlässliche Prognosen über die Finanzsituation der IV in den nächsten 10 Jahren zu haben, wird die Demontage der IV vorangetrieben. Die bürgerliche Mehrheit hat nach dem Sozialschmarotzer, dem kriminellen Ausländer nun den simulanten IV-Bezüger als Feindbild aufgebaut und kann so den Abbau legitimieren. 

Die Revision 6b, welche der Bundesrat dem Parlament im kommenden Mai vorlegen will, geht noch weiter als die bisherigen Massnahmen. Sie beinhaltet direkte Rentenkürzungen für alle IV-RentnerInnen. Die Schmerzgrenze ist bei den IV Revisionen schon lange erreicht -  die Rosskur muss aufhören.

Zuständig beim SGB

Gabriela Medici

stv. Sekretariatsleiterin

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Gabriela Medici
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