Die Abstimmungsniederlage zur Altersvorsorge am 24. September war knapp. Viel knapper als die früheren Abstimmungsergebnisse zur Altersvorsorge in den letzten Jahrzehnten. Leider aber knapp auf die falsche Seite: Ein Nein bleibt ein Nein. Und eine verpasste Chance, die AHV-Renten erstmals seit Jahrzehnten wieder real zu verbessern.
Erinnern wir uns: Ende 2010 hatten wir am SGB-Kongress das strategische Ziel formuliert, die AHV-Renten nach langem Stillstand endlich wieder zu verbessern. Und nach den Abwehrerfolgen in der Defensive wieder in die Offensive zu gehen. Für den Durchbruch hatten wir damals einen Zeithorizont von 10 bis 15 Jahren anvisiert. Weil wir ja damit rechnen mussten, nicht im ersten Anlauf durchzukommen.
So nah wie am 24. September waren wir einer realen, wenn auch vorläufig bescheidenen Rentenverbesserung noch nie. Vor einem Jahr, im Herbst 2016, erreichten wir mit unserer Volksinitiative AHVplus in der ersten Volksabstimmung über bessere AHV-Renten einen Ja-Anteil von gut 40%. Jetzt waren es über 47%, also gut 7% mehr als vor Jahresfrist.
Jene Kreise aus unseren Reihen, die das Nein vertreten haben, haben sich eine schwere Verantwortung aufgeladen. Denn ohne das linke Nein und ohne den K-Tipp hätten die Wirtschaftsverbände und die Rechtsparteien, nicht gewonnen. Das ist bitter. Und das muss schwer zu denken geben.
Auch für das Funktionieren unserer Organisationen. Die Gewerkschaften sind pluralistische Organisationen, und wir legen grossen Wert auf einen vielfältigen, demokratischen Prozess der Meinungsbildung. Zu einem demokratischen Prozess gehört aber auch, dass ein nach kontroverser Diskussion zustande gekommener Entscheid, wenn er einmal gefällt ist, auch respektiert wird. Und nicht regionale Unterorganisationen dann in einer nationalen Frage einen Sonderzug fahren. Das ist eine Voraussetzung für unsere Schlagkraft bei der Verteidigung der sozialen Interessen. Und das ist auch die Regelung in unseren Statuten. Das heisst der Verfassung, die wir uns für das gemeinsame Funktionieren in unserer Organisation gegeben haben. Das muss hier aus aktuellem Anlass wieder einmal in Erinnerung gerufen werden. Was wir jetzt erlebt haben, darf sich nicht wiederholen.
An dieser Delegiertenversammlung wollen wir aber nicht vor allem Rückschau halten, sondern nach vorne blicken. Wir sind die wichtigste Kraft bei der Verteidigung der Renten in unserem Land. Das bedeutet, dass Sozialabbau auch nach dem 24. September nicht in Frage kommt. Und dass wir einen Rentenabbau mit dem Referendum bekämpfen werden.
Das genügt aber nicht. Die Wirtschaftsverbände haben in ihrer Kampagne die Rentnerinnen und Rentner mit dem Schlagwort "Rentner bestrafen" zu einem Nein aufgerufen, weil sie keine Rentenerhöhung bekommen hätten. Zu viele in der älteren Generation sind dieser Neid-Parole gefolgt. Dieses Nein ist aber kein Nein zu höheren Renten. Sondern ein Aufruf für eine Verbesserung auch der heutigen Renten.
Es ist eine Tatsache, dass die Krankenkassenprämien und die Gesundheitskosten den Renten davonlaufen. Deshalb müssen wir in einer nächsten Etappe vertiefen, wie wir dafür sorgen können, dass die Renten, angefangen mit den heutigen, in Zukunft mit den Krankenkassenprämien und den Gesundheitskosten Schritt halten. Das ist der Vorschlag des Präsidialausschusses und des Vorstands. Für die Realisierung müssen wir alle Mittel bis hin zu den Volksrechten in Betracht ziehen.
Für eine neue Offensive sind wir aber nicht nur bei den Renten gefragt. Auch bei der Lohngleichheit muss es jetzt endlich vorwärtsgehen. Das ist das zweite grosse Thema dieser Delegiertenversammlung.
Ein Grosskampf steht uns, zusammen mit den allen demokratischen Kräften in diesem Land, im Abstimmungskampf gegen No Billag bevor. Die beabsichtigte Zerstörung der SRG als wichtigstem öffentlichen Informationskanal unseres vielfältigen Landes hat, wenn man es gründlicher durchdenkt, Staatsstreichcharakter. Eine Demokratie braucht funktionierende unabhängige Medien wie die Luft zum Atmen. Wir können den Schaden gar nicht ermessen, der uns droht, wenn die Medienlandschaft schwergewichtig nur noch aus kommerzialisierten und von SVP-Oligarchen dominierten Medien bestehen würde.
Grosse Gefahren drohen auch für unsere Bahnen, eine grosse Errungenschaft, auf die wir auch im internationalen Vergleich stolz sein können. Unser öffentliches Verkehrssystem ist deshalb so leistungsfähig, weil die Schweiz die Liberalisierungspolitik von Ländern wie England oder Deutschland nicht mitgemacht hat. Jetzt droht uns dieser Unsinn mit Fernbussen und einem Konkurrenzsystem im nationalen Verkehr, nur weil dies der Direktor des BAV gerne so hätte. Für solche Neuorientierungen braucht es aber mehr als Amtsentscheide, sondern politische Weichenstellungen. Wir unterstützen den SEV beim Widerstand gegen die verfehlte Liberalisierung des Fernverkehrs durch die Hintertür.
Zum Abschluss meiner Eröffnung eine erfreuliche Feststellung. Das Bundesgericht hat in den letzten Monaten zwei gewerkschaftlich sehr positive Entscheide gefällt. Zuerst wurde die neue Neuenburger Mindestlohnregelung gutgeheissen, ein wichtiger Schritt nach vorne für unsere Mindestlohnkampagne. Und vor kurzem erst ist auf eine Beschwerde des VPOD das Zutrittsrecht der Gewerkschaften bestätigt worden. Auch das eine wichtige Errungenschaft für unsere Verbände im gewerkschaftlichen Alltag, in dem zu oft auch Selbstverständlichkeiten zuerst durchgesetzt werden müssen.