Arbeitsplätze schaffen und die Betroffenen ernst nehmen – Abbau stoppen

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Verfasst durch Rolf Zimmermann, Leiter SGB-Sekretariat

Bereits die 5. IV-Revision hat die IV-Rentner/innen bis zur Schmerzgrenze belastet. Dennoch droht IV-Revision 6b mit systematischen Rentenkürzungen. Ihre ursprünglich nur auf Abbaukurs fahrende Vorläuferrevison 6a wird in der Wintersession im Nationalrat behandelt. Wird die endlose Abbauspirale endlich durchbrochen? Das Parlament müsste nur die entsprechenden Anträge dazu unterstützen.

Niemand bestreitet, dass das aufgelaufene Defizit der IV von über 10 Milliarden weg muss. Bestritten ist aber, dass die heutigen und künftigen IV-Rentnerinnen für die von den Behörden verweigerten Finanzen mit Rentenkürzungen oder Rentenverweigerungen bezahlen müssen. Die bisher ergriffenen Massnahmen – u.a. der 5. IV-Revision – haben die Zunahme der Neurenten gestoppt. Mit den beiden Teilen der 6. Revision wird nun aber Abbau bei den jetzigen RentnerInnen betrieben. Das bedeutet, dass immer mehr Menschen in die Sozialhilfe getrieben werden. Entsprechend kritisch haben die Kantone und Gemeinden auf die Revision 6b reagiert. Bundesrat Didier Burkhalter wäre gut beraten, wenn er die einseitige Vorlage nochmals gründlich überarbeitete. Auch die Revision 6a hätte eine sorgfältige Neubearbeitung nötig. Dies ist im Parlament ohne Rückweisung nicht mehr möglich. Umso wichtiger wäre es, wenn die gröbsten Ungereimtheiten nun noch rausgekippt würden.

Ohne Quote Augenwischerei

Der Bundesrat stellte die Revision unter das Motto „Eingliederung vor Rente“, als ob diese Devise nicht schon seit Beginn der IV (1960) gelten würde. Man tut so, als ob die IV-RentnerInnen nicht arbeiten wollten, nur simulierten und sich verweigerten. Tatsache ist aber, dass für die nötige Eingliederung seit über 30 Jahren wegen sich folgender Rezessionen die Arbeitsplätze fehlen. Wer Eingliederung will, muss die Arbeitgeber auch zu Behinderten-Arbeitsplätzen anhalten. Freiwillig geht dies nicht, sondern nur mit Quoten. Der Bundesrat setzte bisher erfolglos auf Anreize. Die Nationalratskommission verlangt nun in Art. 8a, dass Unternehmen mit mehr als 250 Angestellten mindestens 1 % Behinderte beschäftigen müssten. Dieser Antrag geht in die richtige Richtung, wird aber im Namen der Unternehmerfreiheit rechtsbürgerlich bekämpft. Konsequenter wäre es, statt der Mehrheit der linken Minderheit zu folgen, die schon für Betriebe mit mehr als 100 Angestellten 1 % Behindertenarbeitsplätze fordert und von jenen Firmen, die dies nicht tun, eine Abgabe in der Höhe einer durchschnittlichen Jahres-IV-Rente (ca. 19‘000 Franken) zur Finanzierung von Eingliederungsmassnahmen verlangen. Ohne Quote betreibt der Gesetzgeber reine Augenwischerei. Leidtragende sind die Behinderten, die keine Stelle finden.

Ein zweiter kritischer Punkt der Revision findet sich unter dem bereits fragwürdigen Titel „Arbeitsversuch“ (Art. 18a), womit Personen ohne Lohn – sondern für ein „Taggeld“ – während höchstens 180 Tagen versuchsweise beschäftigt würden, zwar mit allen Pflichten von Angestellten, aber ohne den üblichen arbeitsrechtlichen Schutz. Hier sollen neu die IV-Stellen eine Art Zwangsarbeit anordnen, die die Betroffenen in einen völlig fremdbestimmten Status abschiebt. Statt Integration - Bevormundung. Statt Selbstwert wird Unterordnung eingeübt. Inakzeptabel.

Wenn Juristen Gesundheit beurteilen…

Schliesslich ein besonders stossender dritter Punkt: die Überprüfung, mit drohender Kürzung oder Streichung von Renten wegen organisch nicht nachweisbaren Beschwerden. Die umstrittenen Schleudertrauma-Entscheide sollen Gesetz werden; psychische Krankheiten werden auf den „Index“ gesetzt. Ärztliche Diagnosen, offensichtliche Arbeitsbehinderungen und schwerste Leiden werden von Juristen in die Schublade Simulantentum weggewischt. Ganz zu schweigen von der Geringschätzung der betroffenen Menschen, werden die „Fälle“ damit nicht aus der Welt geschafft – ausser man treibe die Leute in den Selbstmord – aber in die Sozialhilfe abgeschoben. Solche Unrechtsbestimmungen gehören nicht ins Gesetz.

Die Eingliederung als Ziel des Gesetzes ist wichtig und gut. Sie muss aber die Betroffenen mit ihrem Leiden ernst nehmen und einbeziehen und für genügend Arbeitsplätze sorgen.

Zuständig beim SGB

Gabriela Medici

stv. Sekretariatsleiterin

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Gabriela Medici
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