Der Nationalrat hatte im Frühling 2008 eine Neuauflage der 11. AHV-Revision beschlossen, die mit Ausnahme der Quasi-Abschaffung der Witwenrenten ziemlich stark der ersten, im Referendum von 2004 haushoch abgelehnten Auflage gleicht: Erhöhung des Rentenalters der Frauen auf 65 Jahre ohne soziale Abfederung, Verschlechterungen bei der Rentenanpassung. Auf das bundesrätliche Feigenblatt namens „Vorruhestandsleistung“ ist er gar nicht eingetreten. In der Sommersession 2009 wird sich nun der Ständerat mit der 11. AHV-Revision befassen. Seine Kommission hat beim ersten Punkt kleine Verbesserungen vorgenommen, wohl in der Hoffnung, dass die Bevölkerung die Rentenaltererhöhung eher schlucken würde. Bei der Rentenanpassung meint sie es jedoch gar nicht gut mit den RentnerInnen.
Keine dauerhafte soziale Abfederung beim Rentenvorbezug
Vier Jahre nach Inkrafttreten der 11. AHV-Revision – also im 2015, nach den Plänen des Bundesrates – soll das Rentenalter der Frauen auf 65 Jahre erhöht werden. Während 5 Jahren, also bis zum Jahr 2019, sollen die Frauen die Möglichkeit haben, bei einer Pensionierung mit 64 Jahren einen Vorbezug zur Hälfte des heutigen Kürzungssatzes machen zu können, d.h. mit einer Kürzung von 3.4 %. Das entspricht dem übergangsregime der 10. AHV-Revision. Ein Vorbezug soll ab Alter 60 möglich sein (halbe Rente) resp. 62 (volle Rente), wobei diese Renten nach versicherungsmathematischen Sätzen gekürzt werden sollen. Während 10 Jahren (also von 2011 bis 2020) sollen diese Kürzungssätze aber reduziert werden. Männer (ab 62) und Frauen (zwischen 62 und 64, respektive zwischen 62 und 65 im Jahr 2020) sollen bei einem Vorbezug in den Genuss einer reduzierten Kürzung kommen, wenn ihr durchschnittliches AHV-Jahreseinkommen eine bestimmte Höhe (gegenwärtig 82'080 Franken) nicht übersteigt. Bei Einkommen bis 34'200 Fr. sollen folgende Kürzungssätze zur Anwendung kommen: 2.3 % bei 1 Jahr, 4.2 % bei 2 Jahren, 6.0 % bei 3 Jahren, 7.7 % bei 4 Jahren und 9.2 % bei 5 Jahren Vorbezug. Bei Einkommen zwischen 34'200 und 82'080 Franken sollen die Kürzungssätze linear abgestuft werden, d.h. zwischen den obgenannten und den versicherungsmathematischen Sätzen liegen. Bei Einkommen über 82'080 Franken soll bei einem Vorbezug die volle versicherungsmathematische Kürzung angewendet werden. Diese sehr bescheidene soziale Abfederung soll aber nicht allen Versicherten zugute kommen: Wer nicht eine ununterbrochene Beitragsdauer von 30 Jahren aufweist, ist ausgeschlossen. Der Anspruch soll nicht exportiert werden, AusländerInnen müssten also während der Dauer des Vorbezugs in der Schweiz bleiben oder auf eine Abfederung der Kürzung verzichten. Diese Abfederung soll vom Bundeshaushalt finanziert werden – der aber seinerseits durch die Erhöhung des Rentenalters der Frauen finanziell entlastet wird, da ja sein Beitrag in Prozenten der AHV-Ausgaben bemessen wird. Fazit: Die Abfederung, welche die ständerätliche Kommission vorsieht, ist mickrig, zeitlich beschränkt und ausländerfeindlich. Demgegenüber will die linke Minderheit der Kommission eine wesentlich bessere und zeitlich unbefristete soziale Abfederung, die AusländerInnen nicht diskriminiert.
Rentenanpassung: erneut im Visier
Die Rentenanpassung ist ein wichtiges Thema: Werden Renten nicht regelmässig mindestens der Teuerung angepasst, dann verlieren sie an Kaufkraft. Selbst bei relativ geringer Inflation entwerten sich Renten im Laufe von 18-20 Jahren massiv. Heute werden die AHV-Renten und in deren Gefolge auch die IV-Renten, also die Alters-, Hinterlassenen- und Invalidenrenten der ersten Säule, alle zwei Jahre nach dem sogenannten Mischindex angepasst. Dieser berechnet sich nach dem arithmetischen Mittel des Preis- und des Lohnindexes. Diese Methode stellt die Kaufkrafterhaltung sicher und lässt die Versicherten sogar hälftig an der Lohnentwicklung teilhaben. Sie ist schon seit längerem im Visier der Sozialabbauer. Immer wieder haben diese versucht, den Mischindex zu zerstören, bisher aber erfolglos. Bei der ersten Auflage der 11. AHV-Revision wollten Bundesrat und Parlament die Renten nur noch alle drei Jahre anpassen – das erfolgreiche Referendum vereitelte den Plan.
RentnerInnen, wehrt euch!
Der neueste Versuch ist besser getarnt, aber umso perfider: Wenn der Stand des AHV-Fonds unter 70 % einer Jahresausgabe liegt, sollen die Renten nicht mehr fix alle 2 Jahre angepasst werden, sondern erst dann, wenn die aufgelaufene Teuerung 4 % überschreitet. Sinkt der Fondsstand unter 45 %, dann sollen die Renten gar nicht mehr angepasst werden. Perfid ist das deswegen, weil das Parlament es in der Hand hat, den Fondsstand auf dieses Niveau absinken zu lassen. Ganz einfach, indem es der AHV notwendige Zusatzeinnahmen verweigert. Bekanntlich führt die demographische Entwicklung zu einer Mehrbelastung der AHV. Auch wenn man diesbezüglich von weniger pessimistischen Szenarien ausgeht als der Bundesrat, wird der Fondsstand eines Tages unter 70 % sinken, wenn die AHV keine Zusatzeinnahmen erhält. Nun kommt aber dazu, dass das Parlament dauernd in Versuchung ist, den AHV-Topf zu plündern. So will es der notleidenden IV ein Startkapital von 5 Mrd. geben, wenn die StimmbürgerInnen die IV-Zusatzfinanzierung durch MWSt akzeptieren. Nicht etwa zulasten des Bundes, sondern zulasten der AHV. Die ständerätliche Kommission hatte vor wenigen Jahren sogar beschlossen, der AHV mehr als die Hälfte ihres Kapitals wegzunehmen, um damit die IV-Schulden zu tilgen. Zum Glück hat sie sich damals eines Besseren besonnen, aber für wie lange? In Anbetracht dieser gefährlichen Spiele ist die vom Bundesrat vorgeschlagene und von der ständerätlichen Kommission unterstützte Neuregelung brandgefährlich. Sie lädt das Parlament richtiggehend dazu ein, die AHV auszuhungern oder auszuplündern. Die Versuchung ist gross, denn die IV-Schulden bestehen ja noch immer. Der Nationalrat hat im Frühling etwas weniger Brandbeschleuniger angewendet und den Verzicht auf Rentenanpassung bei einem Fondsstand von unter 45 % gestrichen. Die ständerätliche Kommissionsmehrheit sucht nun aber offenbar den Konflikt mit den RentnerInnen!
Fazit: Das Parlament hat offenbar aus dem erfolgreichen Referendum gegen die AHV-Revision im Jahr 2004 keine Lehre gezogen.
Ebenfalls in der Sessionsvorschau: Familienergänzende Kinderbetreuung, Kulturförderungsgesetz und ALV-Revision.