Wichtiges Nein des Nationalrates zur totalen Liberalisierung

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Verfasst durch Rolf Zimmermann, Leiter SGB-Sekretariat

Die totale Postliberalisierung ist weg vom Tisch, zumindest für einige Jahre. Die an sich unnötige Postreform scheint so akzeptabel, obwohl aus Gewerkschaftssicht einige kritische Punkte bleiben.

Aus dem wenig durchdachten und äusserst knappen Ja des Ständerats zur Totalliberalisierung der Post hat der Nationalrat nach eingehender Debatte mit 102 zu 82 Stimmen ein klares Nein gemacht. Damit ist der wichtigste Grund für ein gewerkschaftliches Referendum gegen die Postreform vom Tisch. Der Ständerat wird eine Kraftübung kaum wagen, nachdem der Bundesrat in der grossen Kammer ein Einschwenken angekündigt hat. 

Im Nationalrat tauschten die rechten Fans der Liberalisierung (v.a. FDP und SVP) und ihre Gegner von links (v. a. SP und Grüne) die bekannten Argumente aus. Mit Blick auf die drohende Unterversorgung der Randgebiete und in nüchterner Einschätzung des drohenden Referendums hat die CVP-Mehrheit gegen die sofortige Liberalisierung entschieden. In den Liberalisierungsdebatten erstaunt immer wieder, wie die rechte Privatisier-Fraktion von Preissenkungen fantasiert, obwohl alle Liberalisierungen öffentlicher Infrastrukturen – der „freie“ Strommarkt ist dafür das bekannteste abschreckende Beispiel – deutlich steigende Preise und enormen Abbaudruck bei der Qualität der Grundversorgung gebracht haben. Dies zeigt ebenso exemplarisch die als Pionier gefeierte, weil seit 20 Jahren liberalisierte Post in Schweden: Die Preise für Briefe und Pakete gewerblicher und privater Postkunden haben sich vervielfacht und die Finanzdienste verschlechtert. Profitiert haben nur die Massenkunden, wie Banken und Versicherungen. Während Schwedens Post weiterhin im ganzen Land die Versorgung garantieren muss, sind ihre Konkurrenzfirmen nur in den rentablen Agglomerationen tätig. Genau das wollen wir nicht.

Aus gewerkschaftlicher Sicht gravierend an der Liberalisierungsrealität ist der Druck auf die Löhne. In Deutschland musste die Regierung einen gesetzlichen Mindestlohn für die Postbranche erlassen, der das von den Konkurrenzfirmen ausgelöste Dumping mit Löhnen um die 8 Euro noch nicht beseitigt hat. Es gibt auch erschreckende Beispiele von Kinderarbeit. Schlechte Löhne stehen am Anfang von schlechter Qualität bei den Dienstleistungen. Beides wollen wir nicht.

Erfreulich ist immerhin die neue Bestimmung im Gesetz, dass alle Postanbieter mit den Gewerkschaften Verhandlungen über einen GAV führen müssen. Diese zwingt zu einer minimalen Sozialpartnerschaft, welche die Privatanbieter bisher verweigerten. Besser wäre eine Abschlusspflicht im Gesetz. Die Mehrheit wollte sie nicht. Es ist nun wichtig, dass der bestehende GAV mit der Post nicht nur verbessert, sondern auch so schnell wie möglich über eine Allgemeinverbindlichkeit für die gesamte Branche wegleitend wird.

Erfreulich ist auch, dass der Nationalrat die Schweizer Post mit der Grundversorgung beauftragt und damit einen bürokratischen Ausschreibungsleerlauf verhindert hat. Die Konsequenz daraus ist das ebenfalls beschlossene gesetzliche „flächendeckende Poststellen- und Agenturnetz“. Damit ist der Gefahr einer ausgedünnten Versorgung mit ungesicherten Agenturen zumindest eine gewisse Grenze gesetzt. Präzisiert hat der Nationalrat auch den ermässigten Transport der Mitgliedschaftspresse von nicht gewinnorientierten Organisationen (z.B. Gewerkschaftszeitungen).

Insgesamt unerfreulich ist die unnötige Umwandlung der Post in eine spezialgesetzliche Aktiengesellschaft. Sie müsste zumindest – wie bei der SBB – eine 100 %-Beteiligung des Bundes vorsehen. Der Nationalrat wollte dies nicht und sieht nur eine Bundesmehrheit vor. Ebenso unerfreulich ist, dass die Postfinance neu als privatrechtliche Aktiengesellschaft ausgelagert worden ist, für welche das Gesetz nur eine Mehrheitsbeteiligung der Post und nicht 100 % Posteigentum vorsieht. Wer damit Privatisierungsgelüsten verbindet, dem sei jetzt schon gesagt: Die Post ist beliebt. Jede Privatisierung im Bereich wird – genauso wie der seinerzeitige Versuch von Blocher und Merz bei Swisscom – im Volk auf vehementen Widerstand stossen. Es wird zum Poststellennetz und zur Postfinance dank der Volksinitiative der Gewerkschaft Kommunikation so oder so ein Wörtchen mitzureden haben. Wir bleiben am Ball, auch mit Blick auf den Evaluationsbericht, mit dem der Bundesrat in drei Jahren die Liberalisierungsfrage wieder auf den Tisch bringen wird.

Zuständig beim SGB

Reto Wyss

Zentralsekretär

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Reto Wyss
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