Den Hund bei Regen vor die Tür schicken, und sich dann wundern, wenn er nass zurückkommt: Das in etwa ist die Logik einer neu gegründeten parlamentarischen Gruppe, welche sich an der laufenden Modernisierung der ehemaligen Bundesbetriebe stört. "Fair ist anders!" heisst die Gruppe – ihr Name ist Programm.
Seit einiger Zeit werden die Bundesbetriebe unter ein politisches und mediales Trommelfeuer genommen. Im Fokus steht dabei insbesondere die Post: Sie würde aus einer staatlich abgesicherten Monopolposition heraus mit ihren "Shopping-Aktivitäten" und "Einkaufstouren" den Markt verzerren und gezielt Wettbewerber ausschalten. Angegriffen wird auch die Swisscom: Sie nutze ihre Vormachtstellung in der Netzerschliessung aus, um andere Telekommunikationsanbieterinnen mit unlauteren Methoden zu verdrängen. Und auch die SBB wird kritisiert: Sie sei träge und langsam, künftig brauche es auf der Schiene mehr Wettbewerb, sowohl im In- als auch im Ausland.
Richtungsentscheid in der Frühlingssession
Bei einem "Trommelfeuer" soll es aber nicht bleiben, denn auch politisch sollen nun möglichst bald Nägel mit Köpfen gemacht und die "Staatsbetriebe an die Kandare" genommen werden. Genau darum geht es nämlich bei zwei in der Frühlingssession durch den Nationalrat zu behandelnden Motionen der Ständeräte Rieder und Caroni. Diese verlangen vom Bundesrat die Ausarbeitung von Gesetzesänderungen, "um Wettbewerbsverzerrungen durch Staatsunternehmen einzudämmen". Was könnte dies im Klartext heissen? Die Post verzichtet auf sämtliche Geschäfte ausserhalb des Briefmonopols, Fachhochschulen stellen die Akquirierung von Drittmitteln sofort ein, öffentlichen Spitäler gehen sofort fast sämtliche Mittel aus und Kantonalbanken schliessen ihre Türen. Die Liste liesse sich beliebig verlängern.
Im Ständerat haben diese beiden Vorstössen bereits eine Mehrheit erzielt, im Nationalrat wird nun ebenfalls heftig dafür lobbyiert. Unter anderem mit der Gründung einer neuen parlamentarischen Gruppe namens "Fair ist anders!": diese Gruppe beklagt sich darüber, dass öffentliche Unternehmen "zu direkten Konkurrenten von privatrechtlichen Unternehmen und Gewerbebetrieben" geworden sind und fordert "endlich gleichlange Spiesse". Mit dem Erinnerungsvermögen der Mitglieder dieser Gruppe scheint es dabei nicht allzu weit her zu sein: Vor der Jahrtausendwende wurde die ehemalige PTT zerschlagen (es entstanden die separaten AGs Post und Swisscom) und auch die SBB wurde zu einer Aktiengesellschaft umgewandelt. Es waren dies Entwicklungen der dazumal allgemein in Europa vorherrschenden Wettbewerbseuphorie. Die Losung war, dass die Staatsbetriebe zu träge seien und nun am Wettbewerb zu gesunden haben: Dieser würde sie zu Innovation und Dienstleistungsorientierung zwingen, wovon letztlich die ganze Bevölkerung profitieren kann – durch bessere Qualität zu tieferen Preisen. An vorderster Front gefordert und umgesetzt wurden diese Liberalisierungsschritte aber genau von jenen Kreisen, die heute beanstanden, dass sich die von ihnen in den Wettbewerb gedrängten Betriebe nun effektiv auch wie Wettbewerber verhalten – so was! Das ist in etwa, wie wenn man den Hund bei Regen vor die Tür schickt, um sich dann darüber zu wundern, wenn er nass zurückkommt. Anstatt zu bemängeln, dass etwa die Post in den digitalen Wandel investiert – auch mit Zukäufen von spezialisierten Firmen, die in diesem Prozess bereits viel weiter sind – sollten diese Leute im Gegenteil positiv anerkennen, dass der "gelbe Riese" eben nicht sein schrumpfendes Briefmonopol-Gärtchen hegt und in der "Papier-Korrespondenz von gestern" stecken bleibt, sondern vielmehr einen absolut unabdingbaren Wandel aktiv vorantreibt und dabei auch laufend Erfolge vorweisen kann. Vielmehr sollte dafür genau darauf geachtet werden, dass das Personal bei diesem Wandel nicht vergessen geht und alle Angestellten mitgenommen werden.
Grundversorgung kostet
Die Angriffe auf Post, Swisscom und Co. sind aber noch aus einem weiteren Grund völlig verfehlt: Im Sinne der flächendeckenden Gewährleistung des Service public haben alle Bundesbetriebe einen Grundversorgungsauftrag zu erfüllen, was für sie zumeist ein höchst defizitäres Geschäft ist (so beliefen sich etwa die Nettokosten der postalischen Grundversorgung im Jahr 2020 auf 230 Millionen Franken). Um dabei nicht auf Subventionen angewiesen zu sein, können die Betriebe gar nicht anders, als "auf dem Markt" bescheidene Erlöse zu erzielen. Doch auch Letzteres ist ihnen – zur prophylaktischen Verhinderung möglicher "Wettbewerbsverzerrungen" – heute nur in einem engen Rahmen überhaupt möglich: So darf etwa die Postfinance heute immer noch keine Kredite vergeben, obwohl sie die gleichen teuren Kapitalanforderungen wie alle anderen Grossbanken erfüllen muss. Die Spiesse müssten endlich gleich lang sein, fordert die erwähnte parlamentarische Gruppe: da kann man ihr in diesem Fall nur beipflichten – und müsste der Postfinance folglich endlich die Vergabe von Krediten erlauben. Brandgefährlich und höchst widersprüchlich sind jedoch die erwähnten Motionen Rieder und Caroni. Sie gehören wuchtig abgelehnt.