Volle Strommarktöffnung ist kontraproduktiv
Dieses revidierte Energiegesetz soll sicherstellen, dass trotz der geplanten Vollliberalisierung des Strommarktes ausreichend Anreize für den Zubau von erneuerbaren Energien gesetzt werden können. Der SGB lehnt die Strommarktöffnung aus grundsätzlichen Überlegungen ab, da Strom ein öffentliches Gut, unverzichtbar für die Bevölkerung und eine zentrale Voraussetzung für das Funktionieren der Volkswirtschaft ist. Die Stromversorgung muss deshalb immer stark reguliert bleiben, eine Marktöffnung würde daran nichts ändern. Sie würde aber sinnlose Kosten im Marketing und in der Administration bewirken und damit Preissteigerungen verursachen, die weder der Versorgungsqualität noch der Nachhaltigkeit in der Produktion noch dem Klimaschutz zugutekämen. Im Gegenteil dürfte eine Strommarktöffnung auch ökologisch negativ sein.
Bisher ist der Schweizer Strommarkt so konzipiert, dass den Kleinkunden die Gestehungskosten verrechnet werden. Das betrifft immerhin gut die Hälfte des gesamten Stromverbrauchs in der Schweiz und mehr als 90% der Kundschaft. Die Verteilnetzbetreiber wissen sehr gut Bescheid über die Nachfrage aus diesem Segment ihrer Kundschaft und haben damit eine hohe Planungssicherheit beim Stromeinkauf und dem Absatz ihrer eigenen Produktion. In grossen Gemeinden wie z.B. der Stadt Zürich oder Basel-Stadt wird diesen Kunden im gebundenen Markt als Standardprodukt 100% erneuerbarer Strom verkauft, was sich bis heute als Treiber der Energiewende erweist. Die Vollmarktöffnung sieht nach Vorstellung des Bundesrats vor, dass in der künftigen Grundversorgung ausschliesslich 100% einheimischer erneuerbarer Strom verkauft wird. Dies mit der Idee, dass man die positive Dynamik des bisherigen Geschäftsmodells nicht bremsen will. Fakt ist, dass man die heute herrschende Planungssicherheit nicht mit höheren Fördermitteln kompensieren kann. Denn die Kundschaft in der Grundversorgung wird nicht mehr berechenbar sein, das vom Bundesrat skizzierte Modell im künftig geöffneten Markt sieht im Gegenteil Anreize für eine starke Mobilität der Kleinkunden vor: Jeweils zwei Monate vor Jahresende kann aus der Grundversorgung auf den Markt zu einem neuen Stromlieferanten oder im Folgejahr auch wieder zurück in die Grundversorgung beim bisherigen Verteilnetzbetreiber gewechselt werden.
Der Energy-Only Market, das Preismodell im offenen Markt, garantiert eben nicht mehr, dass die Gestehungskosten beim Strom gedeckt sind. Dieses Problem ist auch mit höheren Investitionsbeiträgen nicht zu lösen, wenn man weiterhin moderate und vor allem stabile Strompreise will. Dies aber ist bisher eines der Merkmale der schweizerischen Stromversorgung im Gegensatz zum europäischen Umfeld, welches man nicht aufs Spiel setzen sollte, denn es ist die Voraussetzung für die bisher hohe Zustimmung in der Bevölkerung zur Energiewende.
Zubau von Erneuerbaren und verstärkter Umweltschutz widersprechen sich nicht
Die mit dieser Revision bezweckte verstärkte Unterstützung der erneuerbaren Energien ist zwar ein schwaches Gegenmittel gegen die zu befürchtenden negativen Auswirkungen der vollen Strommarktöffnung, sie ist aber an sich unbedingt erforderlich. Denn mit dem Ausstieg aus der Atomkraft, der Dekarbonisierung der Gebäudewärme und der notwendigen Elektrifizierung der Mobilität braucht es nicht nur einen Ersatz der wegfallenden Kapazitäten, sondern einen Ausbau der einheimischen Stromproduktion. Das Potenzial der Wasserkraft, bisher der grosse Pfeiler in der Stromproduktion, ist aber erschöpft. Zudem dürfte sich die Produktion aus dieser Quelle wegen des Klimawandels, der sich in längeren Trockenperioden und abnehmender Schneemenge manifestiert, tendenziell verringern. Der Rückzug der Gletscher, ebenfalls eine Folge des Klimawandels, eröffnet zwar Perspektiven durch neue Gletscherseen, hier aber kommt es dann sicher zur Kollision mit dem Landschaftsschutz.
Der Interessenskonflikt zwischen höherer Produktion aus Wasserkraft und Biodiversitätsschutz wird mit dieser Vorlage nicht entschärft, sondern würde sich ganz unnötig zuspitzen. Die noch bestehenden ökologisch wertvollen Gebiete müssen konsequent geschützt werden. Ein besserer Schutz der Biodiversität und Massnahmen für einen verstärkten Klimaschutz widersprechen sich aber nicht, sondern müssen ab jetzt zusammengedacht und konzipiert werden. Diesem Ziel muss die Revision des Energiegesetzes einen grossen Schritt näherkommen und die Investitionsanreize müssen entsprechend so gesetzt werden.
Die Photovoltaik ist nach übereinstimmender Einschätzung aller ExpertInnen in der Schweiz die Quelle erneuerbaren Stroms mit dem grössten Potenzial, was Zubau, Kostenbegrenzung und Landschaftsschutz gleichermassen betrifft. Der Bundesrat strebt denn auch mit dieser Vorlage einen verstärkten Ausbau der Photovoltaik an und setzt dafür auf einmalige Investitionsbeiträge mittels Einmalvergütungen und bei Auktionen für grosse Anlagen ohne Eigenverbrauch. Bei der Wasserkraft war man in jüngster Zeit stets bemüht, das Risiko der volatilen Marktpreise zu mindern (Stichworte Marktprämie und Diskussion über einen flexiblen Wasserzins), hier hingegen wird kein Sicherungsnetz vorgesehen. Damit ist fraglich, ob der anvisierte Zubau gelingen kann. Die Photovoltaik braucht dringend mehr Planungssicherheit, wenn sie als neuer Pfeiler der einheimischen Stromversorgung vorgesehen ist.
Versorgungssicherheit: Der Markt richtet es nicht
Seitdem diese Revision des EnG entworfen wurde, haben wir nämlich eine komplett neue Ausgangslage zu bewältigen: Die Corona-Pandemie hat europaweit wegen des «shut down» der Wirtschaft und des öffentlichen Verkehrs zu einem Einbruch beim Stromverbrauch geführt und setzt damit die Preise noch mehr unter Druck. Die weiteren Folgen der Pandemie sind eine Zunahme der Arbeitslosigkeit und eine gefährliche Schwächung der Kaufkraft. Zudem ist fraglich, ob in dieser neuen Wirtschaftslage eine Erhöhung der Preise für die CO2-Emissionen in der EU eine politische Mehrheit finden. Der Markt wird es ganz bestimmt nicht richten. Deshalb müssen die Fördermittel noch deutlicher verstärkt werden, um die Investitionsanreize für den Zubau von erneuerbaren Produktionsanlagen zu stimulieren, aber mit klarem Fokus auf die Nachhaltigkeit der Anlagen.
Energieeffizienz und Suffizienz sind die zwei Aspekte einer ökologisch, ökonomisch und sozial erfolgreichen Energiewende, aber sie erfahren viel zu wenig Beachtung und fallen auch in dieser Revision unter den Tisch. Mit Strom, der nicht verbraucht wird, lässt sich kein Geschäft machen. Das dürfte wohl die Erklärung für diese Geringschätzung sein. Je mehr aber die Stromproduktion auf erneuerbaren Energien beruht, desto zentraler wird die Frage des Lastmanagements um die Stromkosten im Griff zu halten. Wie eine Studie im Auftrag des BfE im letzten Oktober aufzeigte, wird das Potenzial von Laststeuerungen in der Schweiz noch kaum genutzt. Aber das ist eine verpasste Chance, die sich rächen wird, denn ohne deutliche Verbrauchsverringerung und den Einsatz von solchen Steuerungselementen kann die Transformation nicht kosten- und umweltverträglich gelingen. Es sollte deshalb nicht damit zugewartet werden, die Verbrauchsrichtwerte anzupassen. Und es sollte möglichst rasch ein geschäftsfähiges Demand Side Management aufgebaut werden.
Zu den einzelnen Artikeln nimmt der SGB in seiner vollständigen Vernehmlassungsantwort (siehe unten) Stellung.