Lausanne weist Liberalisierung in die Schranken

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Verfasst durch Rolf Zimmermann, geschäftsführender Sekretär SGB

Zu Beginn der Sommerpause hat das Bundesgericht mit einem bemerkenswerten Entscheid die Strommarkt-Liberalisierung deutlich abgebremst und das zuständige Departement zurückgepfiffen. Die unter den hohen Preisen des „freien“ Markts leidende Stahl Gerlafingen ist nun frei, auf die falschen „Marktsegnungen“ zu verzichten. Ähnlich gelagerte Fälle werden folgen.

Bekanntlich erlaubt das neue Strom-Versorgungsgesetz (StromVG) seit dem 1.1.2008 den Grossverbrauchern mit einem Jahres-Konsum von über 100 MWh die freie Wahl des Stromlieferanten. Die Totalliberalisierung mit freier Wahl für alle ist für eine zweite Etappe vorgesehen, die dem fakultativen Referendum untersteht. Berechtigte Firmen, die sich im Rahmen der Teilliberalisierung der ersten Etappe ausdrücklich für den freien Netzzugang entschieden haben, können gemäss Art. 11 Abs. 3 der Stromversorgungsverordnung (StromVV) nicht zur preisgebundenen Lieferpflicht des lokalen Stromversorgungsunternehmens zurück. Die Elektrizitätskommission (Elcom), hatte der Stahl Gerlafingen AG deshalb, wegen ihrer schon vor dem StromVG eingegangenen Rabattverträge, die in Art. 7 des Gesetzes vorgesehene Wahlfreiheit verweigert und sie in den „freien“ Markt gezwungen. Angesichts der mit der Liberalisierung extrem steigenden Marktpreise hatte der Solothurner Stahlproduzent aber kein Interesse am viel teureren freien Netzzugang. Er verzichtete 2008, als der bestehende Vertrag auslief, auf einen neuen Liefervertrag mit freiem Netzzugang. Konsequenterweise erhob die Firma explizit Anspruch auf die Grundversorgung des regionalen EW mit der Lieferpflicht zu festgelegten Preisen.

Nur das regulierte Monopol garantiert preisgünstige Lieferung

Das Bundesgericht in Lausanne hat nun wie zuvor schon das Bundesverwaltungsgericht die Position der Stahl Gerlafingen AG gestützt und die Elcom mit dem rekurrierenden Departement zurückgepfiffen. Das höchste Gericht hält fest, dass auch langjährige Spezialabkommen von Stromlieferanten mit Grossverbrauchern vor dem neuen Gesetz nicht als quasi vorgezogener Schritt in den freien Markt interpretiert werden dürfen, wie dies die Elcom getan hatte. Die Teilliberalisierung und die entsprechenden Regeln gelten erst seit dem StromVG. Die darin festgelegte Wahlfreiheit von Grossverbrauchern für oder gegen den freien Netzzugang müssen diese explizit beantragen. Einen Liberalisierungsautomatismus aufgrund früherer Verträge gibt es nicht, weil diese nicht aufgrund einer Marktöffnung abgeschlossen worden waren, die es noch gar nicht gab. Die frühere Rechtslage war gerade umgekehrt.

Der juristisch bedeutende Bundesgerichtsentscheid ist auch politisch wichtig: Er veranschaulicht konkret, dass die Liberalisierung von netzgebundenen Versorgungssystemen nicht die von Marktfundamentalisten behauptete preissenkende Wirkung hat. Vielmehr bleiben sogar Grossverbraucher ohne geregelten Schutz am Markt ohnmächtig. Der SGB hatte schon 2002 beim erfolgreichen Referendum gegen das Elektrizitätsmarktgesetz (EMG) betont, dass beim Strom die Anbietermacht so gross ist, dass nur das regulierte Monopol eine preisgünstige Liefergarantie gewährleisten kann. Dies bestätigt leider schon die Teilliberalisierung des StromVG. Deshalb setzt das Bundesgericht auch politisch ein neues Signal, wenn es die Wahlfreiheit ebenfalls für die stromintensiven Betriebe ausnahmslos durchsetzt und ihnen nicht den am internationalen Markt und der Strombörse von Leipzig gebildeten überhöhten Preis aufzwingt. Der neueste Entscheid des Bundesgerichts korrigiert damit auch die bisherige politische Interpretation seines kartellrechtlichen Urteils von 2003, das im Kanton Freiburg ein freies Durchleitungsrecht für nicht im Verteilungsgebiet gekauften Strom durchsetzte und damals – notabene nach dem EMG-Nein des Volks von 2002 – der nun gültigen Teilliberalisierung im StromVG den Weg bereitete. Jetzt macht das Gericht klar, dass es damit keineswegs die Liberalisierung vorweggenommen und auch nicht präjudiziert hat. So hat man dies bisher nicht gelesen.

Liberalisierung ist das Problem und nicht die Lösung 

Etwas resigniert titelte deshalb die NZZ (29.7.2011) „Strommarktöffnung als Rohrkrepierer“. Ausgerechnet die stromintensiven Industrien, für die die Teilliberalisierte Strommarkt im StromVG konstruiert worden war, sind nicht bereit, die dadurch bewirkten überhöhten Preise zu bezahlen und verlangen regulierte Preise und Versorgungsgarantien. Diese Kehrtwende zeigt: beim Strom ist die Liberalisierung das Problem und nicht die Lösung.

Die staatlich regulierten Monopole haben ein ganzes Jahrhundert für ausreichend Strom und ein Klima der Investitionssicherheit gesorgt. Nach den Preisschüben im liberalisierten Ausland und den gleich negativen Effekten mit dem StromVG bei uns spricht nichts für eine Totalliberalisierung der 2. Etappe. Der nach Fukushima nötige Atomausstieg wird den Ruf nach gesetzlichen Versorgungsgarantien und einer sorgfältigen staatlichen Produktionsplanung verstärken. Elemente des freien Markts können dabei höchstens eine untergeordnete Rolle spielen. 

Fazit: Sowohl die Energiewende wie der neueste Bundesgerichtsentscheid sprechen dafür, dass die bereits eingeleitete StromVG-Revision nicht mehr, sondern weniger Liberalisierung bringen muss. Sie eilt jedenfalls nicht. Mit dem Gerichtsentscheid zeigt sich auch, dass das Interesse an der „Versorgungssicherheit zu stabilen Preisen“ – das seit Jahren explizit formulierte Ziel der Gewerkschaften – für grosse und kleine Stromverbraucher gleich wichtig ist. Die Zeichen stehen gut, dass sie politisch nun endlich am gleichen Strick ziehen werden.

Zuständig beim SGB

Reto Wyss

Zentralsekretär

031 377 01 11

reto.wyss(at)sgb.ch
Reto Wyss
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