Der Schweizerische Gewerkschaftsbund (SGB) hat seit längerem gefordert, dass das Bundesamt für Energie endlich die Auswirkungen der Teilliberalisierung auf dem Strommarkt evaluiert. Die Evaluation liegt nun vor und bestätigt die Einschätzung des SGB in weiten Teilen: Kundschaft und Branche haben davon profitiert, dass in der Schweiz keine Vollliberalisierung durchgesetzt wurde. Die Strompreise blieben stabil, auch in der Grundversorgung sind sie unter dem Durchschnitt der EU-17 geblieben. Der bremsende Effekt der hohen Strompreise zum Zeitpunkt der Marktöffnung 2009 war ein Glücksfall: Die meisten Grosskunden blieben in der Grundversorgung und den Stadtwerken eröffnete sich die Möglichkeit, sich als Treiber der Energiewende zu positionieren.
Spätestens seit 2012 zeigen sich die problematischen Seiten der Teilliberalisierung bei historisch tiefen Strompreisen: die Stromunternehmen konkurrieren um die Grosskunden bei gleichzeitigem Preiszerfall. Der Arbeitsplatzabbau bei den grossen Verbundunternehmen bis hinunter zu kleinen Stromversorgern ist in vollem Gang. Das Personal wird ausgedünnt, um das Kapital zu stärken, obwohl bereits jetzt klar ist, dass der Branche die Fachkräfte fehlen um die Energiewende zu schaffen.
In dieser aktuell sehr prekären Marktsituation soll nun die Vollliberalisierung durchgesetzt werden. Diese geplante zweite Marktöffnung wird den Stromkunden, die heute noch im gebundenen Markt sind, keine Vorteile bringen, aber sie würde die Branche gefährlich destabilisieren. Die verschärfte Konkurrenz im vollliberalisierten Markt wird die Energiewende behindern, da sie den Investitionsspielraum der Stadtwerke, der bisherigen Treiber der Energiewende, einengt.
Für die zweite Marktöffnung wird hauptsächlich mit dem EU-Stromabkommen argumentiert. Sie sei die notwendige Vorleistung. Ob das Stromabkommen zustande kommt, ist zum jetzigen Zeitpunkt ungewiss und der EU-Strommarkt ist eine Baustelle. Für den SGB ist klar, dass es eine zweite Marktöffnung quasi als Vorleistung zu einem Stromabkommen, dessen Inhalte unbekannt sind, nicht geben kann.
Die Schweizer Wirtschaft, der Arbeitsmarkt und die Stromkunden brauchen eine sichere und saubere Stromversorgung zu stabilen Preisen. Der SGB fordert deshalb einen Gesamtarbeitsvertrag für die Branche, der dafür sorgt, dass die Arbeitsstellen attraktiv bleiben und ins Personal investiert wird. Für die Energiewende braucht es Fachleute auf regionaler Ebene und in den Gemeinden, die sich mit Energieeffizienz und dezentraler Stromversorgung auskennen. Ein Liberalisierungsexperiment zum jetzigen Zeitpunkt käme die Volkswirtschaft teuer zu stehen!
Auskünfte:
- Dore Heim, SGB-Zentralsekretärin zuständig für den Service Public, 079 744 93 90