Strommast in der Landschaft

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Energieversorgung: Der Markt kam uns teuer zu stehen

  • Energie und Umwelt
Artikel
Verfasst durch Reto Wyss

Die Verhinderung der vollen Strommarktöffnung bot für Schweizer KleinkundInnen den besten Schutz gegen sprunghaft steigende Strompreise. Daraus müssen nun die richtigen Lehren gezogen werden. Positiv: Das Lichterlöschen der Marktturbos hat bereits stattgefunden.

Grundversorgung als Schutzschild

Dass sie kurz vor dem befürchteten Prämienhammer auch noch von einem Strompreishammer getroffen werden, damit hätten wohl die meisten Haushalte in der Schweiz bis vor Kurzem nicht gerechnet. Zwar sind die Stromkosten seit Langem ein relevanter Posten eines normalen Haushaltsbudgets, dennoch waren sie bis anhin im Vergleich zu den Krankenkassenprämien und Mieten fast vernachlässigbar. Letzteres hat vor allem zwei einfache Gründe: Erstens sind die KleinverbraucherInnen dank der bis heute erfolgreich verhinderten Vollliberalisierung des Strommarkts vor sprunghaften Preissteigerungen an den internationalen Energiemärkten geschützt. Und zweitens darf in dieser Grundversorgung der in der Schweiz produzierte erneuerbare Strom (das sind immerhin zwei Drittel) höchstens zu Produktionskosten verrechnet werden. Von dieser "Gestehungskosten-Regel" werden im nächsten Jahr insbesondere jene Haushalte profitieren, welche im Einzugsgebiet eines Energieversorgungsunternehmens mit hohem Eigenstromanteil wohnen.

Falscher Marktglaube in der Produktion

Andere Energieversorgungsunternehmen müssen wiederum viel Strom an den internationalen Märkten zukaufen und planen deshalb, die horrend gestiegenen Preise an ihre EndkundInnen weiterzugeben. Die Ursache dafür ist einerseits, dass die weitgehende Marktöffnung – im Gegensatz zur Stromversorgung – in der Stromproduktion leider nicht verhindert werden konnte. Die Strompreise dürfen deshalb nun an der Börse verrückt spielen (mit den entsprechenden horrenden Gewinnen für viele grosse Energiekonzerne). Bezahlen dafür müssen die Normalbevölkerung und die Unternehmen.

Andererseits hat es die Schweiz – hauptsächlich wegen der jahrelangen Obstruktionspolitik von rechts ("die Energiestrategie ist gescheitert!") – leider verpasst, den Anteil der neuen erneuerbaren Energien mit einer öffentlichen Investitionsoffensive auf ein substanzielles Niveau zu erhöhen und sich damit bereits heute aus der wirtschaftlichen und geopolitischen Abhängigkeit der fossilen Energieträger zu befreien (und damit gleichzeitig eine vorbildliche Klimapolitik umzusetzen). Die einen befanden dies ganz allgemein für unnötig (oder setzen gar erneut auf die ineffektive, gefährliche und für die öffentliche Hand noch viel teurere Atomkraft) und die anderen wollten eben auch dies dem Markt überlassen, "dem" das zu normalen Zeiten natürlich kein Anliegen war.

Schutz vor dem Markt: Ja, aber

Nun treten in der Energieversorgung die Irrungen des Marktglaubens also so offen zutage wie kaum je zuvor. Bestes Anschauungsbeispiel hierfür ist die seit Kurzem von den damalig vehementesten BefürworterInnen der Teilstrommarktöffnung (Schweizerischer Gewerbeverband und andere) vorgetragene Forderung, die in den freien Markt gewechselten GrossverbraucherInnen doch wieder zurück in die geschützte Grundversorgung zu lassen. Nun, da es brenzlig ist, will man sich also wieder vom Markt verabschieden. Dies ist – hundertprozentiger Glaubwürdigkeitsverlust hin oder her – absolut verständlich und für die betroffenen Unternehmen auch dringend nötig, denn kein Betrieb kann seine Produktion aufrecht erhalten, wenn die Ausgaben für Energie plötzlich 30 statt 3 Prozent der Gesamtkosten ausmachen. Ebenfalls völlig klar ist aber auch das: Wer sich wieder zurück in die Grundversorgung retten darf, der hat auch dort zu bleiben (genauso wie dies bis heute für den Wechsel in den freien Markt gilt) und darf sich sicher nicht bei der nächstmöglichen Gelegenheit – beziehungsweise bei erneut sinkenden Strompreisen – wieder daraus verabschieden.

Konkrete Sofortmassnahmen nötig

Damit – Abkehr vom Markt durch Ausbau der Grundversorgung und der öffentlichen Investitionen in die erneuerbaren Energien – wären auch zwei mittelfristig entscheidende, und scheinbar plötzlich breit mehrheitsfähige Massnahmen für eine bezahlbare und klimaneutrale Energieversorgung skizziert. Doch lässt sich mit diesen, um auf die Einleitung zurückzukommen, das für die Privathaushalte ernste Problem der Strompreissteigerung bereits im nächsten Jahr noch nicht lösen. Hierfür braucht es akute, schnell wirksame Massnahmen. Folgende drängen sich auf:

  • Abgabendeckel: Der Strompreis setzt sich aus dem Energietarif und verschiedenen staatlichen Abgaben zusammen. Folglich kann der Staat relativ einfach dafür sorgen, dass zumindest Letztere im nächsten Jahr nicht steigen. Dafür müssten aber die geplante Wasserkraftreserve ("ein hoher dreistelliger Millionenbetrag") und der zusätzliche Aufwand der Übertragungsnetzbetreiberin (ebenfalls ein dreistelliger Millionenbetrag) unbedingt durch öffentliche Mittel finanziert werden, und nicht – wie vorgesehen – durch einen Aufschlag des Netznutzungstarifs.
  • Tarifkontrolle: Die Überwachungs- und Tarifgenehmigungsbehörde ElCom muss den Energieversorgungsunternehmen akribisch auf die Finger schauen. Es muss unbedingt verhindert werden, dass jene Unternehmen, die von den international gestiegenen Strompreisen nicht betroffen sind, auf der allgemeinen Welle mitreiten und mit Taschenspielertricks die Strompreise für ihre EndkundInnen in der Grundversorgung ebenfalls zu erhöhen versuchen.
  • Rolle der Kantone und Gemeinden: Fast alle Energieversorgungsunternehmen befinden sich im überwiegenden oder vollständigen Besitz der Kantone und Gemeinden. Letztere stehen deshalb besonders in der Pflicht, für eine möglichst moderate Erhöhung der Energietarife zu sorgen. So muss insbesondere der Abbau von unternehmerischen Reserven, wo vorhanden, vorausgesetzt werden und einer unveränderten Weitergabe der erhöhten Marktpreise an die EndkundInnen vorangehen.
  • Stromtarifdeckel: Wie etwa in Frankreich für 2022 in Kraft und für 2023 soeben verlängert, könnte auch in der Schweiz der Stromtarif in der Grundversorgung bis zu einem gewissen Verbrauchskontingent direkt gedeckelt werden. Die Mittel dafür wären vorhanden, beziehungsweise sie sammeln sich soeben durch die aktuell hohen Gewinne der grossen Energiekonzerne an.

Zuständig beim SGB

Reto Wyss

Zentralsekretär

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