Am 24. November beginnt die Wintersession des eidgenössischen Parlamentes. Hier ein paar Streiflichter auf einige wichtige anstehende Geschäfte.
Erbschaftssteuer: Gerecht – und gut für die AHV
(ea) Der Nationalrat wird als zweite Kammer am 8. Dezember die Volksinitiative für eine Erbschaftssteuerreform behandeln. Das Plenum wird das Volksbegehren ablehnen. Eine andere Frage ist, wie das Volk entscheiden wird – vermutlich im Juni 2015.
Das Volksbegehren, eingereicht von SP, EVP, Grünen und Gewerkschaftsbund, will mehr Verteilgerechtigkeit herstellen. Erbschaften über 2 Mio. Franken sollen neu einheitlich vom Bund besteuert werden. Vorgesehen ist ein Steuersatz von 20%. Die ersten 2 Mio. gelten dabei als Freibetrag. Damit entfällt die Erbschaftssteuer für Hinterlassenschaften bis zu diesem Betrag. Für eine Erbschaft von z.B. 2,1 Mio. Franken werden 20‘000.- Franken an Steuern zu entrichten sein. Für KMU und Landwirtschaftsbetriebe sind sogar weitergehende Erleichterungen vorgesehen. In der Schweiz besitzen nur gerade 2% der Steuerpflichtigen ein Vermögen von mehr als 2 Mio. Franken. Die Initiative ist damit alles andere als ein Angriff auf den fleissigen Mittelstand. Der Ertrag dieser Steuer soll zu einem Drittel an die Kantone und zu zwei Drittel an die AHV gehen. Die kann sich damit neuen Herausforderungen und Aufgaben stellen. Das ist gut für den sozialen Zusammenhalt und setzt einen Gegentrend zur gesellschaftlichen Zerklüftung.
Der SGB hält die Erbschaftssteuer für eine gerechte, eine faire und nützliche Steuer. Sie beschafft in einem Kontext, in dem die Einkommens- und Vermögensunterschiede immer extremer werden, neue nötige Mittel genau von den Richtigen: von denen, die ruhig mehr zur allgemeinen Wohlfahrt beitragen dürfen. Diese Steuer dürfte eine Milliarde Franken in die Kasse der Kantone und 2 Milliarden in jene der AHV spülen. In beiden Kassen ist dieses Geld gut angelegt – vor allem bei der AHV kommt es der breiten Bevölkerung direkt zugute. Bei der AHV wird so ein grosser Teil der nötigen Rentenverbesserungen finanzierbar, oder es können in etwa die vorübergehend mehr benötigten Mittel für die Pensionierung der Baby-Boomer-Generation sehr sozial beschaffen werden.
Deshalb wird sich der SGB im Abstimmungskampf für die Erbschaftssteuer prominent engagieren.
Energiestrategie: Ohne Wende kein Ausstieg!
Der SGB fordert das Parlament auf, auf das erste Massnahmenpaket zur Energiestrategie einzutreten. Hier die wesentlichen Punkte der Vorlage aus Sicht des SGB.
Das Projekt Energiestrategie 2050 droht in Interessenkonflikten zerrieben zu werden. Die Energiewende ist keine weltanschauliche Frage, sondern ein ökonomisches und soziales Gebot. Die Atomkraftwerke in der Schweiz gehören zu den ältesten Kraftwerken, mit jeder Laufzeitverlängerung wird das Risiko eines Unfalls grösser. Angesichts der tiefen Strompreise und des anhaltenden Stromüberschusses rechnen sich kostenintensive Investitionen in längere Laufzeiten nicht mehr. Der Ausstieg muss jetzt konkretisiert werden, denn er ist anspruchsvoll und wird mit Stilllegung und Rückbau über Generationen dauern. Im Vordergrund steht für den SGB der Gewinn aus der Energiewende: der Erhalt von attraktiven Arbeitsplätzen, die Schaffung von neuen Tätigkeitsfeldern, eine zuverlässige, sichere und saubere Stromversorgung und die Wertschöpfung im Inland durch den Zubau von erneuerbaren Energien. Es braucht möglichst schnell Planungssicherheit für Investitionen in die Produktion, einen Schwerpunkt auf der dezentralen Versorgung und wirksame Effizienzvorgaben. Dies ist nur mit einer öffentlich-regulierten Stromversorgung umzusetzen. Eine Liberalisierung des Strommarkts stellt Investitionen in Frage und schwächt die dezentralen Elektrizitätsunternehmen. Das gefährdet die Wende und damit den Ausstieg aus der Atomkraft.
Der SGB hat sich in der Vernehmlassung positiv zum ersten Massnahmenpaket geäussert. Die Parlamentsvorlage hat noch immer das Potenzial, die Energiewende einzuleiten, die Stromeffizienz entscheidend zu verbessern und eine inländisch nachhaltige Stromversorgung mit erneuerbaren Energien aufzubauen. Die politischen Entscheide müssen jetzt gefällt werden, um eine erste Grundlage für die Wende zu schaffen.
Wesentliche Punkte der Vorlage aus Sicht des SGB:
Energiegesetz
Der Bundesrat möchte im Gesetz verankert haben, dass vor dem Bau oder der Erweiterung eines fossil-thermischen Kraftwerks vorgängig geprüft werden muss, ob die Energie nicht aus erneuerbaren Energien gewonnen werden kann. Der SGB unterstützt diese Bestimmung (Art. 6).
Die Gemeinden und ihre EVU werden eine Schlüsselrolle in der Energiewende einnehmen. Es gilt nun, ihre Kompetenzen zu stärken, indem sie im Gesetz explizit erwähnt sind. Der SGB unterstützt den Minderheitsantrag (Art. 7).
Landschaftsschutz und Energiewende dürfen nicht gegeneinander ausgespielt werden. Der Bundesrat geht in der Vorlage zu weit, obwohl die heute geltenden Regeln zum Schutz von Landschaften bereits Spielraum für die Nutzung zur Stromgewinnung bieten. Der SGB unterstützt den Mehrheitsantrag, der Biotope von nationaler Bedeutung schützt (Art. 14), und den Minderheitsantrag, der ersatzloses Streichen von Art. 15 will.
Der SGB begrüsst den Mehrheitsantrag, dass Kleinstwasserkraftwerke mit einer Leistung unter 1 MW vom Vergütungssystem ausgeschlossen werden sollen. Sie sind unökonomisch und ihr Potenzial zur Stromgewinnung steht in keinem Verhältnis zur Schädigung der Umwelt (Art. 19 Abs 3bis). Ausnahmen sollten nur innert bereits genutzter Gewässerstrecken zugelassen sein. Hier unterstützt der SGB den präzisierenden Antrag der Minderheit III (Art. 19 Abs. 3ter).
Die Einspeisevergütung ist das aktuell probate Mittel, um den Zubau von erneuerbaren Energien zu fördern. Der SGB hat sich jedoch wiederholt kritisch dazu geäussert, dass damit auch der Bau von unrentablen und ökologisch unsinnigen Anlagen befördert wird. Jetzt können hier Korrekturen vorgenommen werden. Der SGB unterstützt die Minderheitsanträge III und IV (Art. 22 Abs. 2bis).
Dem Gewinneinbruch in der Strombranche wollen Bundesrat und Kommission mit Investitionsbeiträgen für Wasserkraftanlagen begegnen. Der SGB steht diesem Modell kritisch gegenüber. Zum einen ist die Wasserkraft das unverzichtbare Standbein der schweizerischen Stromversorgung, zum anderen aber ist deren kriselnde Rentabilität ein vorübergehendes Phänomen nach ausserordentlich produktiven Jahren. Investitionshilfen sind nur zeitlich befristet und für ganz wenige, ausgewiesen nachhaltige Produktionsanlagen zu gewähren. Der SGB unterstützt den Minderheitsantrag II bei Art. 28 Abs. 1b mit der klaren Auflage zum Landschaftsschutz. Die Investitionshilfe soll 40% der anrechenbaren Investitionskosten nicht übersteigen (Art. 30 Abs. 1). Zudem muss eine Rückforderung der Investitionsbeiträge möglich sein, wenn sich die Strommarktlage ändert (Kommissionsantrag Art. 33 Abs. 3c).
Die Erhöhung des Netzzuschlags auf maximal 2.3 Rp./kWh ermöglicht einen rascheren Zubau von erneuerbaren Energien und bleibt tragbar für die Kundschaft, sofern der Kreis der davon befreiten Unternehmen nicht ausgeweitet wird. Der SGB sagt ja zum Mehrheitsantrag bei Art. 37 und lehnt Aufweichungen der Ausnahmebestimmungen bei Art. 40 und 41 ab.
Der SGB unterstützt Zielvorgaben zur Effizienzsteigerung bei Unternehmen und empfiehlt, der bundesrätlichen Vorlage in Art. 45, 46 und 47 zu folgen.
CO2 Gesetz
Das bewährteste Mittel zur Beschleunigung der Energiewende sind klare Vorschriften. Der SGB unterstützt die verschärften Vorschriften in Art. 10 und damit den Mehrheitsantrag.
Wärme-Kraft-Kopplungsanlagen sind wegen ihrer hohen Effizienz ein wesentlicher Baustein für den Umstieg in die Energiewende. Der SGB unterstützt den Mehrheitsantrag, der auch bei kleinen WKK-Anlagen eine Rückerstattung der CO2-Abgabe zulässt, sofern die Anlagen die energetischen und ökologischen Mindestanforderungen erfüllen (Art. 32a Abs. 1b).
Kernenergiegesetz
Das vorgeschlagene Langzeitbetriebskonzept bietet einen pragmatischen Ausweg in der festgefahrenen Ausstiegsdebatte und wird vom SGB unterstützt. Es sollte möglichst eng definiert sein um das Sicherheitsrisiko zu minimieren. In Art. 25a ist dem Mehrheitsantrag der Kommission Folge zu leisten und der Minderheitsantrag III ist zu unterstützen. Bei Art. 106 a empfiehlt der SGB, den Minderheitsantrag II zu unterstützen, der bei Anlagen, die bei Inkrafttreten des revidierten Gesetzes bereits mehr als 40 Jahre in Betrieb sind, eine maximale Betriebsdauer von 50 Jahren vorsieht.
Atomausstiegsinitiative
Der SGB unterstützt weiterhin die Volksinitiative für den geordneten Ausstieg aus der Atomenergie. Sie wird voraussichtlich gemeinsam mit der Energiestrategie 2050 zur Abstimmung gebracht, welche jedoch auch in Kraft treten kann, wenn die Initiative angenommen wird.
Literaturhinweis
Die schweizerische Energiebranche ist eine ausgesprochen männliche Domäne. Es sind überwiegend Männer in der Stromproduktion, -versorgung und im Stromhandel tätig und die Medienberichterstattung verstärkt den Eindruck, dass sich nur Männer in der Thematik auskennen. Soeben ist ein Buch erschienen, welches dieses Bild korrigiert:
Energie im Wandel. Frauen gestalten die Schweizer Energiezukunft. etv Energieverlag Essen. Herausgeberin ist Cornelia Kawann, Elektroingenieurin in leitender Funktion bei der Regulierungsbehörde ElCom. (Dore Heim)
Gegenvorschlag zur Stipendieninitiative: Ohne materielle Harmonisierung keine Chancengleichheit
Die zuständige Kommission des Nationalrates empfiehlt dem Ratsplenum, auf seiner bisherigen Position zu beharren, wonach das Gesetz Art. 15 des interkantonalen Konkordates zu den Mindestansätzen der Stipendienberechnung zu übernehmen hätte. Das würde einige besonders knausrige Kantone verpflichten, den Standard ein bisschen anzuheben, wenn sie Bundeshilfe wollen. Das ist vernünftig, wird aber von der Mehrheit des Ständerates bestritten. Die kleine Kammer hat sich bisher für eine minimalistische Form des gesetzlichen Gegenvorschlags ausgesprochen. Das erstaunt. Denn als Vertreter der Kantone sollten die Ständeräte interessiert sein, das Gewicht eines von den Kantonen selbst verhandelten Abkommens zu erhöhen.
Der SGB empfiehlt dem Nationalrat, seine bisherige Position zugunsten einer materiellen Harmonisierung der Stipendien beizubehalten. Denn nur dies garantiert hier mehr Chancengleichheit. (Véronique Polito)
„Professional bachelor“: Gut gemeint, aber gegenteilig in den Auswirkungen
Der Ständerat wird am 11. Dezember eine Motion von Nationalrat Aebischer behandeln, die verlangt, dass Ausbildungswillige der höheren Berufsbildung auch Zugang zu den Titeln von „bachelor“ und „master“ haben sollen. Die vorberatende Kommission beantragt Abweisung des Vorstosses. Dafür schlägt sie ihrem Rat vor, ein Kommissionspostulat anzunehmen, das den Bundesrat auffordert, die Frage der Titel zu vertiefen und Alternativen zu den akademischen Titeln vorzuschlagen, die auf internationaler Ebene erkennbar wären. So soll die internationale Anerkennung der höheren Berufsbildung gestärkt werden, ohne sie zu „verakademisieren“.
Der SGB teilt die Auffassung der Kommission und empfiehlt Annahme des Postulates. Ebenso spricht er sich für Abweisung der Motion Aebischer aus. Die Einführung von akademischen Titeln nach dem vorgeschlagenen Muster führt in der Berufsbildung nicht zur erwarteten Aufwertung. Es sind eher konträre Auswirkungen zu erwarten. „Professional bachelors“ wären auf dem Arbeitsmarkt wohl rasch deklassiert, weil sie nicht einem internationalen Standard entsprechen. Das würde mittelfristig dazu führen, die Anforderungen für den Zugang zu diesen Ausbildungen zu erhöhen. Der Ausbildung selbst drohte nach dem Muster der deutschen Berufsakademien eine Verlängerung; zugelassen wäre dann nur mehr, wer eine Matura hat. Für den SGB muss die höhere Berufsbildung weiterhin vor allem den Berufsleuten mit Fähigkeitszeugnis zugänglich sein - und nicht zum Vorrecht der Elite werden. (Véronique Polito)
Fonds für Qualifizierungsinitiative ist sinnvoll
Der Ständerat wird am 11. Dezember eine Motion von Anita Fetz behandeln. Diese verlangt die Bildung eines Fonds für die Finanzierung der beruflichen Grundbildung von Erwachsenen. Der Bund soll dazu den Kantonen während 4 Jahren jährlich maximal 50 Millionen Franken zur Verfügung stellen.
Der SGB befürwortet den Vorstoss. Der rasche Wandel auf dem Arbeitsmarkt verlangt von den Beschäftigten andauernde Qualifizierung. Ab und zu ein bisschen Weiterbildung genügt nicht mehr. Denn häufiger Berufs- und Stellenwechsel ist ein Kennzeichen der Moderne. Deshalb muss die berufliche Grundausbildung den Erwachsenen besser zugänglich sein, die Kantone müssen die entsprechenden Angebote entwickeln. Der SGB ist der Meinung, dass dies zusammen mit den Sozialpartnern anzupacken sei (unter Verwendung der paritätischen Fonds, die bereits heute einen Teil der Berufsausbildung finanzieren). Zudem hält der SGB die vierjährige Dauer der Offensive bloss als einen Anfang: Es ist auch langfristig die Finanzierung solcher Bildungsangebote zu sichern. (Véronique Polito)
Dauerhetze gegen Sans-Papiers verhindern
(ea) Im Ständerat steht eine ausländerpolitische Motion der SVP zur Beratung an. Sie verlangt, dass gesetzlich und nicht per Verordnung zu regeln sei, wie integrierten jugendlichen Sans-Papiers der Zugang zu einer Berufslehre eröffnet wird.
Zur Vorgeschichte: Im Jahre 2010 hat das Parlament die Motion Barthassat überwiesen. Diese will jugendlichen Sans-Papiers einen Zugang zur beruflichen Grundbildung ermöglichen. Der Bundesrat hat die Motion im Rahmen einer Änderung der Verordnung über Zulassung, Aufenthalt und Erwerbstätigkeit umgesetzt. Sie ist am 1. Februar 2013 in Kraft getreten. Der neue Artikel ergänzt die geltenden Bestimmungen zur Behandlung von Härtefällen. Er stellt für jugendliche Sans-Papiers die Ampel in Richtung Berufsbildung keineswegs einfach auf grün. Die jungen Sans-Papiers müssen „gut integriert sein“. Das heisst: Sie müssen eine Landessprache beherrschen, die Rechtsordnung respektiert und fünf obligatorische Schuljahre absolviert haben.
Die SVP verlangt nun mit ihrer Motion, dass die neuen Bestimmungen gesetzlich festzulegen seien und damit dem fakultativen Referendum unterliegen sollen. Die Absicht ist klar: Die Partei liebäugelt mit einer neuen Schlacht in ihrem Dauerkampf gegen Migrant/innen. Der Nationalrat hat diese SVP-Motion im Sommer 2014 knapp angenommen (82 gegen 79). Die ständerätliche Kommission beantragt ihrem Plenum jedoch mit 10 zu 3 Stimmen Ablehnung.
Zu wünschen ist, dass sich die Kommission im Ständeratsplenum durchsetzt. Der Bundesrat hat gemäss Ausländergesetz (Art. 30 Abs. 2) klar die Kompetenz so zu verfahren. Das Anliegen, dass ein Jugendlicher, der fünf Jahre in der obligatorischen Schule verbracht hat, auch eine Anschlussausbildung in Form der Lehre absolvieren darf, ist eine Selbstverständlichkeit. Die SVP will bloss ihren Feldzug gegen „die Fremden“ fortführen. Das zeigt sich bereits an ihrer Wortwahl. Beständig spricht sie in diesem Zusammenhang von „illegal Anwesenden“. Dabei hat die Verwaltung festgestellt, dass seit Februar 2013 kaum entsprechende Gesuche von jugendlichen Sans-Papiers gestellt worden sind. Der Grund ist wahrscheinlich dadurch gegeben, dass mit dem Gesuch auch die Möglichkeit der Denunziation der Eltern gegeben ist. Es brauchte also mehr Distanz zu den fremdenpolizeilichen Härten des Regimes – und nicht dauerndes Schüren der Fremdenfeindlichkeit.