Im Zuge der Covid-19-Krise befindet sich der öffentliche Verkehr in der Schweiz in einer schwierigen Lage. Wie kaum in einem anderen Sektor musste hier während Monaten finanziell ein verlustreicher Spagat zwischen Wahrnehmung des Beförderungsauftrags bzw. Aufrechterhaltung der Grundversorgung und epidemiologisch begründeter Aufforderung, ebendiese nicht in Anspruch zu nehmen, geübt werden. Diese Situation hat zu einem schnellen Kapitalverzehr bei den Transportunternehmen geführt, deren Ertragsausfälle mit zeitweiligen Auslastungen von nur noch 20% des normalen Passagieraufkommens (bzw. einem kompletten Stillstand beim touristischen Verkehr sowie beim internationalen Personenverkehr) immens sind. Kostenseitig fielen die Einsparungen gleichzeitig sehr begrenzt aus, denn der Anteil an kurzfristig nicht vermeidbaren Fixkosten ist insbesondere im Eisenbahnverkehr sehr hoch. Darüber hinaus fielen zudem substanzielle Mehrkosten an, bedingt etwa durch die komplexen Fahrplanumstellungen und die aufwändigen Hygienemassnahmen. Nach Wiederaufnahme des Taktfahrplans sind die finanziellen Probleme keineswegs gelöst, denn das Passagieraufkommen liegt weiterhin deutlich unter dem Normalstand, was voraussichtlich auch noch einige Zeit anhalten wird. Der Schienengüterverkehr wiederum leidet unter dem konjunkturellen Einbruch und wird das bisherige Transportvolumen nur schrittweise wiederaufbauen können.
Vor dem beschriebenen Hintergrund ist für den SGB klar, dass sämtliche Sparten des öffentlichen Verkehrs substanziell mit öffentlichen Geldern unterstützt werden müssen. Denn dieser ist nicht nur das Rückgrat der Mobilität in der Schweiz, sondern auch der zentrale Hebel für die Entwicklung einer emissionsfreien Transportwirtschaft und darf deshalb im Sinne des "Netto-Null"-Ziels des Bundesrats keinesfalls geschwächt aus der Coronakrise hervorgehen, sondern muss vielmehr gestärkt und ausgebaut werden. Ertragsausfälle und Mehrkosten in den verschiedenen Bereichen des Personen- und Schienengüterverkehrs müssen daher möglichst nachhaltig ausgeglichen werden und gleichzeitig muss mit einer griffigen Kommunikationsoffensive dafür gesorgt werden, dass die Bevölkerung wieder möglichst schnell und im vor der Krise gewohnten Ausmass die öffentlichen Verkehrsdienstleistungen in Anspruch nimmt. Die zuletzt durch den Bundesrat verfügte Maskenpflicht im ÖV dürfte dabei entscheidend zur Vertrauensbildung beigetragen haben.
Für die Gewerkschaften ist zudem klar, dass der finanzielle Druck der Transportunternehmen nicht auf das Personal abgewälzt werden darf. Denn das Verkehrspersonal hat nicht nur während der Krise mit der Wahrnehmung seiner "systemrelevanten" Tätigkeit Ausserordentliches geleistet, sondern es war – als Folge insbesondere des starken Wachstums im Verkehrsaufkommen und gleichzeitig durchgeführter unnötiger "Optimierungsprogramme" (z.B. bei den SBB) – schon zuvor am Anschlag. Darüber hinaus hat die Krise an der demografischen Entwicklung, welche die ÖV-Unternehmen erwartet, nichts geändert. So werden zum Beispiel bei den SBB bis im Jahr 2035 deutlich mehr Mitarbeitende pensioniert, als Arbeitsplätze durch die Digitalisierung verschwinden. Der heutige Fachkräftemangel wird sich somit künftig noch weiter verschärfen (z.B. im IT-Bereich, aber auch in bahnnahen Berufe wie LokführerIn oder KundenbegleiterIn). Das beste Mittel, dieser Entwicklung entgegenzuwirken, sind attraktive Anstellungsbedingungen.
Stellungnahme zu den einzelnen Massnahmen und ÖV-Sparten
Personenfernverkehr:
Wie obenstehend beschrieben, war und ist auch der Personenfernverkehr hart von den coronabedingten Ausfällen betroffen. Dennoch sieht der Bundesrat keinen direkten Handlungsbedarf in diesem Angebotsbereich: Die Situation im Personenfernverkehr soll gemäss erläuterndem Bericht "im Zuge der Eignerpolitik mit der SBB geklärt" werden. Letztere soll vorerst Verluste in der Höhe von rund 400 Millionen aus eigenen Mitteln auffangen, da sie "einen gewissen finanziellen Spielraum" habe. Zunächst möchten wir feststellen, dass diese Beurteilung im klaren Widerspruch zur gleichentags durch den Bundesrat beschlossenen Erhöhung der Darlehenslimite bei der Bundestresorerie um 500 Millionen auf 750 Millionen Franken steht. Diese Erhöhung – welche unverständlicherweise weiterhin nur für Kredite mit einer extrem kurzen Laufzeit von höchstens einem Jahr gilt – begründete der Bundesrat nämlich mit der Notwendigkeit der "Überbrückung eines akuten Liquiditätsengpasses" bzw. schlicht der Sicherstellung der Zahlungsfähigkeit der SBB bis Ende 2020. Der finanzielle Spielraum der SBB ist also im Gegenteil sehr eng, und dies bei einer für den ÖV noch lange nicht ausgestandenen Krise. Der Entscheid des Seco bzw. des Bundesrates, dass öffentliche bzw. mehrheitlich durch die öffentliche Hand finanzierte Betriebe grundsätzlich kein Konkursrisiko tragen und damit keine Kurzarbeit beantragen dürfen, ist richtig. Die Konsequenz davon muss aber zwingend sein – übrigens auch vor dem Hintergrund, dass sämtliche Angestellten im öffentlichen Verkehr monatlich die üblichen ALV-Beiträge leisten –, dass dieses "Konkursrisiko" frühzeitig und nachhaltig abgewendet wird, und zwar ohne Abstriche bei der Qualität der Dienstleistungen und insbesondere ohne Schwächung der Arbeitsbedingungen. Es braucht also auch im Personenfernverkehr eine Defizitdeckung durch den Bund, denn ohne diese kommen die SBB (sowie die BLS und SOB) spätestens im Herbst in akute finanzielle Schwierigkeiten, welchen die Unternehmensleitungen wohl nicht tatenlos entgegensteuern werden. Dass dabei insbesondere die Arbeitsbedingungen und der Personalbestand unter Druck kommen könnten, ist keineswegs eine unbegründete Befürchtung und nach der ausserordentlichen Leistung des Verkehrspersonals während der Coronakrise eine äusserst bittere Aussicht.
Regionaler Personenverkehr:
Der SGB begrüsst den vorgesehenen umfassenden Ausgleich des Defizits im Regionalen Personenverkehr für die Jahre 2020 und 2021 – sowie selbstverständlich das daran gekoppelte Verbot von Dividendenausschüttungen für denselben Zeitraum. Die geforderte Kompensation der Ertragsausfälle durch Reserven der Transportunternehmen muss sich aber maximal auf die zweckgebundenen Reserven gemäss Art. 36 des Personenbeförderungsgesetzes beschränken. Einen weitergehenden Reserveabbau – der erläuternde Bericht ist hier unklar und erwähnt auf S. 13 "weitere Reserven der TU" – gilt es unbedingt zu vermeiden, denn er würde die Handlungs- und Risikotragfähigkeit der Transportunternehmen für die nächsten Jahren stark einschränken und zudem eine starke Ungleichbehandlung der verschiedenen Transportunternehmen mit sich bringen (da sich deren Risiko- und Investitionspolitik in der Vergangenheit erheblich unterschieden hat, was sich entsprechend in der heute vorhanden Reservenhöhe ausdrückt).
Touristischer Verkehr
Der SGB lehnt den Verzicht auf Massnahmen zugunsten des "Regionalen Personenverkehrs ohne Erschliessungsfunktion" bzw. des touristischen Verkehrs entschieden ab. In Einklang mit der Forderung der parlamentarischen Motion 20.3151, "Massnahmen über alle Bereiche" zu ergreifen finden wir es unabdingbar, dass auch der touristische Verkehr als Teil des integrierten öffentlichen Verkehrssystems finanziell unterstützt wird. Denn im Gegensatz zu den anderen Bereichen, mussten die Bergzüge, Seilbahnen, Schiffe etc. ihren Betrieb während zweieinhalb Monaten komplett einstellen und erlitten daher einen maximal hohen Ertragsausfall. Gemäss VöV bedarf es zur Abfederung dieser Ausfälle Unterstützungsbeiträge in der Höhe von 50-100 Millionen.
Ortsverkehr:
Der SGB begrüsst die Förderung des Ortsverkehrs, verlangt jedoch, dass für diesen Bereich das Prinzip der Defizitdeckung analog des RPV angewandt wird (auch dies ergibt sich zudem aus dem parlamentarischen Auftrag der Motion 20.3151). Der vorgesehene Pauschalbeitrag des Bundes von 100 Millionen dürfte dafür nicht ausreichen.
Schienengüterverkehr:
Zur Stützung des Schienengüterverkehrs unterstützt der SGB die Aussetzung bei den Abgeltungen für den alpenquerenden kombinierten Verkehr für die Jahre 2020 und 2021. Damit können bei einem geringeren Transportvolumen gleich viele Fördermittel gesprochen werden, was zu einer Erhöhung der durchschnittlichen Abgeltung je Sendung führt und damit letztlich einer Schwächung der Verlagerungspolitik vorbeugt. In diesem Kontext begrüssen wir auch die Härtefallregelung, bzw. die ausserordentliche finanzielle Unterstützung der Eisenbahnverkehrsunternehmen im Schienengüterverkehr im Umfang von 40 Millionen sowie die Unterstützung der "Rollenden Landstrasse" (bzw. der RAlpin AG) im Umfang von 10 Millionen.
Finanzierung der Bahninfrastruktur:
Der SGB befürwortet den Verzicht auf die Rückzahlung der Bevorschussung des Bahninfrastrukturfonds für die Jahre 2020 und 2021. Dies ermöglicht es dem BIF in dieser ausserordentlichen Lage, die nötigen Ausgaben für Unterhalt, Betrieb und Ausbau der Bahninfrastruktur aufrechtzuerhalten. Die Trassenpreiseinnahmen der Infrastrukturbetreiberinnen sind aufgrund des eingebrochenen Volumens des Schienenverkehrs stark rückläufig. Um deren zukünftige Investitionsfähigkeit (und damit den Substanzerhalt und Ausbau der Schieneninfrastruktur) nicht zu gefährden, ist es daher richtig, dass auch die Mittel für die Leistungsvereinbarungen mit den Infrastrukturbetreiberinnen für die Jahre 2020 und 2021 aufgestockt werden.