Foto der Teilnehmenden der Migrationskonferenz 2019
 

SGB-Migrationskonferenz: Migrationspolitik und Personenfreizügigkeit – gewerkschaftliche Visionen

  • Migration
Artikel
Verfasst durch Regula Bühlmann

Rund 50 Gewerkschafter*innen diskutierten am 30. März an der SGB-Migrationskonferenz in Bern Wege zu einer fairen und menschenwürdigen Migrationspolitik. Für sie ist klar: Die Schweiz ist ein Migrationsland und das ist gut so.

Drei Inputreferate haben die Basis gelegt für die Debatte: Patrick Kury (Uni Luzern) zeigte auf, dass die Schweiz auch historisch ein Migrationsland ist, Geert van Dok (Helvetas) setzte die aktuelle Schweizer Migrationspolitik in einen internationalen Kontext und Nina Vladović (VPOD) griff mit der SVP-Kündigungsinitiative und dem EU-Rahmenabkommen zwei aktuelle migrationspolitische Herausforderungen für die Gewerkschaften auf.

Die Teilnehmer*innen der SGB-Migrationskonferenz sind überzeugt, dass sich eine gewerkschaftliche Migrationspolitik an gesellschaftlichen Errungenschaften wie den UNO-Chartas und der Menschenrechtskonvention orientieren müssen. Sie sprechen sich aus für eine faire Migrationspolitik, die Würde und Rechte aller Menschen respektiert, auf Rechtsstaatlichkeit und Menschenrechten beruht und Ursachen von Flucht wie Gewalt, Konflikte und die bisher ungebremste Klimakatastrophe bekämpft. Den fremdenfeindlichen Diskursen, die uns auseinander dividieren wollen, müssen wir eine Solidarität, die weit über die Schweizer Grenzen hinausgeht, entgegensetzen.

Doch die Realität sieht anders aus: Die aktuelle Schweizer Migrationspolitik beruht auf Verhinderung und Abwehr, wie Ethnologe Geert van Dok erläuterte. Migration nach Europa, die man nicht im Ursprungsland stoppen kann, wird an der europäischen Grenze abgewehrt – gemeinsam mit den EU-Ländern. Und Rückkehrabkommen und sogenannte Migrationspartnerschaften sollen in erster Linie die Rückführungen von Migrant*innen erleichtern. Begründet wird das Vorgehen mit unwissenschaftlichen, polemischen Diskursen – wer hat denn schon je die oft zitierten Migrationsströme in die Schweiz gesehen?

Dieser Diskurs, der die Migration als Problem heraufbeschwört, blendet aus, dass die Schweiz schon lange ein Migrationsland ist. Die Entwicklung der Migration in der Schweiz zeichnete Geschichtsprofessor Patrick Kury nach: Im 19. Jahrhundert wanderte ein Drittel der Schweizer Bevölkerung aus – eine halbe Million nach Übersee, eine halbe Million in die Nachbarländer. Viele Schweizer*innen haben im Ausland Schutz und eine bessere Zukunft gesucht und gefunden. Schutz und Zukunftsperspektiven bot die Schweiz auch den Einwanderer*innen, die zur Jahrhundertwende erstmals zahlenmässig die Schweizer Auswanderer*innen überstiegen – unter anderem auch dank der Schweizer Vorreiterrolle beim Studium von Frauen. Erst ab dem Ersten Weltkrieg wurde die Schweizer Migrationspolitik repressiver. Diese Entwicklung fand in den 1970er Jahren und auch aktuell wieder einen Höhepunkt.

So hat der Bundesrat unter dem Druck bürgerlicher Parteien davon abgesehen, den UNO-Migrationspakt zu unterzeichnen, der Menschen in ihren Ländern ein friedliches und nachhaltiges Leben ermöglichen und für menschenwürdige Transit- und Arbeitsbedingungen sorgen soll. Und die SVP will mit ihrer Begrenzungsinitiative die Zusammenarbeit mit Europa abwürgen und die Grenzen dichtmachen.

Besonders problematisch ist, dass die Medien die Gewerkschaften mit ihrer Kritik am Entwurf des EU-Rahmenabkommens in den gleichen Topf wie die Rechtspopulist*innen werfen. Doch die Gewerkschaften führen, anders als die SVP, keinen Kampf «Schweiz gegen EU», sondern setzen sich zusammen mit europäischen Gewerkschaften für ein gemeinsames soziales Europa ein. Ein Nein zum vorliegenden Vertragsentwurf ist deshalb ein Ja zum Lohnschutz, zu einem starken Service public und zu einem fairen Rahmenabkommen, wie VPOD-Soziologin Nina Vladović betont. Die Konferenzteilnehmer*innen sind sich einig: Es muss uns besser gelingen, aufzuzeigen, dass die Gewerkschaften eine europäische Haltung haben mit ihrem Bekenntnis zu einem sozialen und solidarischen Europa. Für dieses braucht es jedoch nicht weniger, sondern mehr Lohnschutz und einen besseren Kündigungsschutz. Denn im Kern ist es keine Auseinandersetzung zwischen der Schweiz und der EU, sondern ein Konflikt zwischen Arbeitnehmer*innenrechten und den Interessen der Arbeitgeberverbände in Europa und in der Schweiz.

Das Fazit der SGB-Vizepräsidentin Vania Alleva bringt es auf den Punkt: Die Schweiz ist ein Migrationsland und das ist wertvoll. Deshalb müssen wir die Personenfreizügigkeit und den Lohnschutz verteidigen – denn das eine funktioniert nicht, ohne das andere. Alle zusammen müssen wir mit ganzer Kraft die SVP-Kündigungsinitiative bekämpfen – und uns für ein soziales und solidarisches Europa einsetzen.
 

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