Die Familieninitiative der SVP begünstigt Alleinernährer-Familien, also Familien, in denen ein Elternteil – meistens der Vater – das Geld verdient und der andere – meistens die Mutter – zu Kindern und Haushalt schaut. Nur solche Familien könnten neu Steuerabzüge für die Kinderbetreuung geltend machen. Anstatt die verschiedenen Familienmodelle gleichzustellen, schafft die Initiative Anreize, dass Mütter auf eine Erwerbsarbeit verzichten. Dies birgt hohe sozialpolitische Risiken.
Während die SVP-Familieninitiative die Alleinernährer-Familien fördern will, weisen neuere Entwicklungen bei den Sozialversicherungen und im Scheidungsrecht in eine andere Richtung. Familien, in denen die Mutter nicht erwerbstätig ist, könnten deswegen bei Scheidung, Tod oder Krankheit zusätzlich benachteiligt werden.
Scheidung
Die Zahlen sind bekannt. Jede zweite Ehe wird in der Schweiz geschieden. Darunter fallen auch viele Ehen, wo der Mann verdient und die Frau primär die Hausfrau ist. In solchen Konstellationen sind bei Scheidung häufig Unterhaltszahlungen für die Exfrau geschuldet. Mit dem gleichen Lohn müssen nun zwei Haushalte finanziert werden. Die Rechnung geht häufig weder für den Mann noch für die Frau auf. Besonders betroffen sind die Kinder, die unter prekären finanziellen Bedingungen aufwachsen müssen.
Die SVP hat aber die „Lösung“ parat: Die Unterhaltszahlungen streichen und die geschiedene Frau zur Erwerbsarbeit verpflichten. In einem parlamentarischen Vorstoss verlangen die SVP-Parlamentarier vom Bundesrat, dass geschiedene Mütter, deren Kinder älter als drei Jahre alt sind, künftig keinen Anspruch auf Unterhaltszahlungen haben sollen. Diesen Frauen könne zugemutet werden, einer Erwerbsarbeit nachzugehen und ihre Kinder fremdbetreuen zu lassen. Bei Scheidung hat also auch die SVP keine Mühe mit Staatskindern.
Mit dieser beabsichtigten Revision des Unterhaltsrechts droht vielen geschiedenen Frauen und ihren Kindern der Gang zum Sozialamt. Wer mehrere Jahre von der Arbeitswelt ferngeblieben ist, findet heute nicht ohne weiteres einen Wiedereinstieg in das Berufsleben. Schon ein Erwerbsunterbruch von 5 Jahren ist in vielen Branchen ein grosses Hindernis. Und auch die Suche nach finanziell tragbaren Betreuungsangeboten für die Kinder bleibt schwierig.
Todesfall
Ein Todesfall in der Familie ist ein grosser Schicksalsschlag. Auch finanziell sind negative Auswirkungen zu verkraften. Wenn der Alleinernährer stirbt, erhält heute die Witwe eine Witwenrente von der AHV und von der Pensionskasse. Die AHV-Witwenrente ist aber akut gefährdet. Der Bundesrat möchte im Rahmen des Reformvorhabens Altersvorsorge 2020 die Renten von Witwen streichen, deren Kindern älter als 18 Jahre alt sind. Frauen, die wegen der Familienarbeit jahrelang nicht mehr erwerbstätig waren, müssten sich nach dem Tod des Ehemannes rasch möglichst eine Stelle suchen oder das Pensum aufstocken, um finanziell über die Runde zu kommen. Ob das für 50-jährige Frauen so einfach möglich ist, ist zu bezweifeln.
Krankheit
Die finanziellen Folgen einer längeren Krankheit können auch Familien mit einem guten Einkommen hart treffen. Nichterwerbstätige Frauen haben bei einer Krankheit, die zu einer Invalidität führt, eine schlechte Abdeckung. Sie können keine Rentenleistungen einer Pensionskasse geltend machen und hätten einzig Anspruch auf eine kleine IV-Rente. Wird der Mann schwer krank, verfügt dieser zwar über eine Pensionskasse. IV-Renten aber werden heute nur unter sehr strengen Bedingungen gesprochen. Wer wegen einer Krankheit nicht mehr arbeiten kann, hat nicht per se Anspruch auf eine IV-Rente. Folglich sind viele Familien in solchen Situationen auf das Erwerbseinkommen der Frau angewiesen.
Angesichts der aktuellen Entwicklungen in den Sozialversicherungen und im Scheidungsrecht ist es verantwortungslos, das Alleinernährer-Familienmodell zu begünstigen. Die Familienpolitik darf sich nicht einzig auf die Schönwetterlage ausrichten. Sie muss auch die Gefahrenlagen im Auge behalten. Die SVP Familieninitiative tut es nicht, daher gehört sie am 24. November abgelehnt.