Ein Vater gibt seinem Kind Milch

Foto: © O_Lypa / istockphoto.com

 

Vaterschaftsurlaub jetzt: Raus aus der gleichstellungspolitischen Steinzeit!

  • Gleichstellung von Mann und Frau
Artikel
Verfasst durch Regula Bühlmann

Am 27. September hat die Schweiz die Chance, ihren Rückstand in Sachen Gleichstellung ein wenig zu verkleinern: Mit dem JA zu einem zweiwöchigen Vaterschaftsurlaub kann sie ein Zeichen setzen, dass Kinder nicht nur Frauen-, sondern auch Männersache sind. Ein Nein zu dieser Vorlage würde uns in die gleichstellungspolitische Steinzeit zurückwerfen.

Während die meisten Länder Europas neben der Mutterschaftsversicherung einen namhaften Vaterschaftsurlaub, eine mehrmonatige Elternzeit oder sogar beides kennen, bekämpfen Schweizer Ewiggestrige die Vorlage für einen zweiwöchigen Vaterschaftsurlaub mit einem Referendum, über das wir am 27. September abstimmen.

Zur Erinnerung: Um einen nachhaltigen gleichstellungspolitischen Impact zu erzielen, braucht es gemäss der Eidgenössischen Kommission für Familienfragen EKFF zusätzlich zu Mutterschafts- und Vaterschaftsurlaub eine mindestens 24-wöchige Elternzeit. Die der Vorlage zugrundeliegende Initiative hatte um der Mehrheitsfähigkeit willen bescheidene vier Wochen Vaterschaftsurlaub zum Ziel. Sie wurde jedoch zugunsten eines Parlamentskompromisses zurückgezogen, der noch bescheidenere zwei Wochen will. Und nun schüttelt das europäische Umland den Kopf darüber, dass die reiche Schweiz im Jahr 2020 darüber abstimmt, ob sie sich diesen lächerlich kurzen Vaterschafsurlaub leisten will.

Wichtiges Zeichen setzen
Doch wir können auch mit diesem Minimum ein wichtiges Zeichen setzen – nämlich, dass Kinder auch Männersache sind und Väter in der Familie eine wichtige Rolle zu übernehmen haben. Das ist dringend nötig: Denn nach wie vor übernehmen in der Schweiz die Frauen die Hauptverantwortung für die Kinder. In vier Fünftel der Familien bleibt die Mutter zu Hause, wenn ein Kind krank ist. Mütter investieren im Schnitt fast doppelt so viel Zeit in die Hausarbeit wie Väter und eineinhalb Mal so viel in die Kinderbetreuung.

Das hat Folgen: Die Mütter reduzieren ihr Pensum oder geben die Erwerbsarbeit ganz auf, um diese Verantwortung schultern zu können. In der Erwerbsarbeit erhalten sie tiefere Löhne – weil sie in weniger gut bezahlten Jobs arbeiten oder schlicht und einfach beim Lohn diskriminiert werden – und nach der Pensionierung tiefere Renten, die kaum die Existenz sichern. Aber auch Väter leiden unter dem Druck, die Familie ernähren zu müssen und als Bezugsperson ihrer Kinder weniger ernst genommen zu werden.

Die Corona-Situation hat ausserdem deutlich gezeigt, dass die Übernahme der Verantwortung für Kinder hauptsächlich durch ein Geschlecht wenig krisenresistent ist: Frauen arbeiten nicht nur unbezahlt in der Familie, sondern häufiger als Männer auch (unter-)bezahlt in Berufen, die für das Funktionieren der Gesellschaft unentbehrlich sind und kaum im Home-Office ausgeübt werden können. Und so wussten in diesem Frühling unzählige Verkäuferinnen, Kinderbetreuerinnen, Ärztinnen und Pflegefachfrauen nicht, wie sie die Betreuung ihrer Kinder mit ihrer Arbeit vereinbaren sollten.

Das Ziel bleibt: echte Elternzeit
Ein zweiwöchiger Vaterschaftsurlaub allein wird diese Gleichstellungsprobleme nicht lösen und die Gesellschaft nicht krisenresistent machen können. Wir müssen weitere Massnahmen ergreifen, wie sie in anderen Ländern schon längst eine Selbstverständlichkeit sind: Ziel muss eine mehrmonatige Elternzeit sein, damit Frauen und Männer auch nach den ersten Wochen die Verantwortung für Einkommen und Kinderbetreuung auf Augenhöhe aushandeln und organisieren können. Frauen dürfen beim Lohn keine Nachteile mehr erfahren, damit es nicht mehr aus ökonomischen Gründen sinnvoll erscheint, wenn sie – und nicht der Vater – das Pensum zugunsten der Kinderbetreuung reduziert. Und die familienergänzende Kinderbetreuung muss als Service Public organisiert und durch die öffentliche Hand finanziert werden, damit Eltern Entlastung erfahren und Kinder für Frauen kein Armutsrisiko mehr bedeuten.

Doch ein Ja zu diesem zweiwöchigen Vaterschaftsurlaub ist nötig als Basis, auf der wir aufbauen können. Nur wenn wir ja zu diesem ersten Schritt sagen, können wir den weiteren Weg hin zu einer modernen gleichberechtigten Gesellschaft in Angriff nehmen – einer Gesellschaft, in der sich Eltern die Verantwortung für das Familieneinkommen und für die Kindererziehung fair aufteilen. 

Ähnliche Artikel

Top