Nachhaltige Empörung

  • Gleichstellung von Mann und Frau
Artikel
Verfasst durch Elisabeth Joris, Historikerin

Wir haben nachgefragt bei Frauen unterschiedlichen Alters und Blickwinkels, warum sie es nötig finden, auch 2011 für Gleichstellung auf die Strasse zu gehen. Hier die Antwort von Elisabeth Joris, Historikerin

Dass ich am 14. Juni 1991 nicht arbeiten würde, das war für mich seit langem klar gewesen. Als Gewerkschafterin hatte ich vor zwanzig Jahren zusammen mit zwei anderen Historikerinnen Materialien für die Schulen zur Geschichte von streikenden Frauen zusammengestellt, Artikel geschrieben, an Aktionen in meiner Schule sowie auf Zürichs Strassen teilgenommen – Erfahrungen von nie verblassendem Erlebniswert. Besonders gefreut hatte mich als ursprüngliche Oberwalliserin, dass ausgerechnet in Naters sich rund 70 Fabrikarbeiterinnen der Microtechnik AG unerschrocken gezeigt hatten und, allen Drohungen der Direktion zum Trotz, offen in Ausstand getreten waren, um auf die miesen Löhne aufmerksam zu machen. 

Angefragt von St. Gallerinnen rede ich nun an diesem 14. Juni im „Alten Kino“ in Mels bei der Veranstaltung „20 jahre frauen(streik)tag, ein grund zum Feiern!“. Gründe zum Feiern gibt es effektiv. Ohne die rund eine halbe Million Frauen in der Schweiz, die sich 1991 mit unterschiedlichen Aktionen am landesweiten Frauenstreik beteiligt hatten – ein nie zuvor erreichter Mobilisierungserfolg in der Geschichte der Schweiz –, wäre weder eine Ruth Dreifuss zur Bundesrätin gewählt noch das Gleichstellungsgesetz vom Parlament verabschiedet worden. Die entstandenen Aktionsgruppen und Netzwerke hatten sich nach dem Frauenstreiktag nicht aufgelöst, die Mobilisierung funktionierte weiterhin. Der Druck der Frauen auf Parlament und Parteien war erheblich und ist als „Brunnereffekt“ in die Geschichte eingegangen. 

Das Mitte der 90er Jahre verabschiedete Gleichstellungsgesetz stand nämlich absolut quer zur damaligen neoliberalen Politik der bürgerlichen Parteien, die nach Deregulierung schrien. Denn dieses Gesetz schreibt verbindliche Regeln vor, auch für die Privatwirtschaft, wie der Verfassungsgrundsatz „Gleiche Rechte für Frau und Mann“ und damit auch der gleichen Entlöhnung in die Tat umgesetzt werden soll. Erreicht ist dieses zentrale Ziel des Frauenstreiks von 1991 bis heute nicht. Und die Situation ist inzwischen auch eine andere. Im Zeichen der wirtschaftlichen Dominanz des Finanzkapitals öffnet sich nicht nur in rasantem Tempo die Schere zwischen Reichen und Armen, sondern seit der Finanzkrise wächst auch die Diskrepanz zwischen Frauen- und Männerlöhnen wieder. So gilt der gegenwärtig erneut lancierte Aufruf 20 Jahre nach dem ersten Frauenstreik auch für den 14. Juni 2011: „Empört euch!“ – und zwar so zahlreich, dass der Druck wie nach 1991 zu nachhaltigen Veränderungen führt.

 

Lesen Sie auch die Beiträge von Christine Flintner, Christina Werder und Tanja Walliser.

Zuständig beim SGB

Julia Maisenbacher

Zentralsekretärin

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