Mit der Vereinbarung der Spitzenverbände über den Lohngleichheitsdialog wird ein neues, überraschendes und innovatives Kapitel bei der (zu) lange nicht eingelösten Realisierung des verfassungsmässigen Anspruchs auf gleichen Lohn für gleichwertige Arbeit aufgeschlagen. Das ist umso bemerkenswerter, als noch vor zwei Jahren aus gewerkschaftlicher Sicht eine äusserst ernüchternde Bilanz aus der offiziellen Evaluation nach zehn Jahren Gleichstellungsgesetz gezogen werden musste, dies umso mehr, als die Arbeitgeberverbände, der Bundesrat und die bürgerlichen Parteien nicht bereit waren, die in der Evaluation des Gleichstellungsgesetzes vorgeschlagenen Verbesserungen des gesetzlichen Instrumentariums umzusetzen. Der jetzt vorgeschlagene Weg ist insofern innovativ, als nun nach dem Erfolgsmodell der flankierenden Schutzmassnahmen zur Personenfreizügigkeit in einem sensiblen Bereich des Arbeitsmarktes zum zweiten Mal innert weniger Jahre für ein Reformprojekt der Weg der Sozialpartnerschaft eingeschlagen wird; angesichts der oft diametral entgegengesetzten Interessen der ArbeitnehmerInnen- und der Arbeitgeberseite ist dies alles andere als eine Selbstverständlichkeit. Folgerichtig ist der nun mit einem beträchtlichen Aufwand eingeleitete Versuch, ein altes Problem endlich praktisch zu lösen, insofern, als die Wirtschaft sich nun selber darum bemüht, eine stossende Ungerechtigkeit zu beseitigen, die in der Wirtschaft verursacht wurde und wird. Der Verfassungsartikel über die Lohngleichheit war ja gewissermassen eine Notmassnahme durch staatliche Normsetzung, nachdem die Marktmechanismen hier nicht weiterhelfen.
Bei dieser Gelegenheit soll nochmals daran erinnert werden, dass der Anspruch auf gleichen Lohn für gleichwertige Arbeit zu den ältesten gewerkschaftlichen Forderungen überhaupt gehört. Rechtlich durchgesetzt werden konnte diese Forderung in der Schweiz erstmals mit dem Verfassungsartikel von 1981 „Gleicher Lohn für gleichwertige Arbeit“. Ein weiterer Meilenstein war 1996 das Gleichstellungsgesetz. Die meisten seither eingereichten Klagen wurden gewerkschaftlich unterstützt oder getragen. Zusammen mit der Mindestlohnkampagne, die vor allem den weiblich geprägten Tieflohngruppen geholfen hat, sorgten die mehrheitlich erfolgreichen Klagen wenigstens für gewisse, wenn auch ungenügende, Fortschritte bei der Realisierung des Lohngleichheitsanspruchs.
Rückblickend war es ein Vorläufer der heute vorliegenden Vereinbarung der Sozialpartner, als die SGB-Gewerkschaften anlässlich der Lohnmedienkonferenz vom August 2007 die Grossunternehmen der Schweiz aufforderten, bezüglich Lohngleichheit nun voranzugehen und die Löhne in ihrem Unternehmen mit dem neuen Lohngleichheitsinstrument des Bundes (Logib) zu überprüfen (unter Einbezug der Gewerkschaften). Dass die Gewerkschaften diesen Appell in ihre Forderungspakete für die Lohnrunde aufnahmen, blieb nicht wirkungslos. In verschiedenen Unternehmen von der Post bis zur Swisscom und Cablecom (Gewerkschaft Kommunikation) und von Nestlé Konolfingen bis zu Lindt & Sprüngli Kilchberg (Gewerkschaft Unia) sind diese sozialpartnerschaftlichen Lohnüberprüfungen inzwischen aufgegleist. Der Lohngleichheitsdialog muss also nicht bei Null beginnen.
Die Schweiz verfügt bekanntlich über eine leistungsfähige, innovative und über alles gesehen strukturstarke Wirtschaft. Die Basis dafür sind gut ausgebildete und motivierte Arbeitnehmerinnen und Arbeitnehmer. Die massive Erhöhung der Frauenerwerbsquote ist eine der zentralen Veränderungen auf dem schweizerischen Arbeitsmarkt der letzten 20 bis 30 Jahre. Auf diesem Hintergrund ist es unverständlich, dass die Schweiz im internationalen Umfeld bezüglich Chancengleichheit und Lohngleichheit der Geschlechter weit hinterherhinkt. Es braucht jetzt in diesem Bereich einen entscheidenden Modernisierungsschritt - im Interesse der Wirtschaft und der Gesellschaft.
Angehängt befindet sich ein Rückblick von Christina Werder, Zentralsekretärin SGB.