Gleichstellung der Geschlechter und Chancengleichheit in der Schweiz

  • Gleichstellung von Mann und Frau
Medienmitteilung
Verfasst durch Regula Bühlmann

Stellungnahme zum Bericht des Bundesrates über die vermeintliche Einhaltung der Ziele für eine nachhaltige Entwicklung

Die Schweiz nimmt bekanntlich keine Vorreiterrolle ein, wenn es um Frauenrechte geht. Umso erstaunlicher ist, wie positiv der Bundesrat sie in seinem Bericht darstellt. Im Kapitel 5 des Berichts: Fast nur Gutzeichen, alles im grünen Bereich! Bei näherem Hinschauen ist natürlich nicht alles so rosig, wie es der Bundesrat darstellt.

Zu den Zielen im Einzelnen:

Lohngleichheit (SDG 5.1, 8.5 und 5.c)

Der Bundesrat lobt, dass die Lohnungleichheit in der Privatwirtschaft zurückgeht. Das ist gut und geht nicht zuletzt auf die Bemühungen der Gewerkschaften um Mindestlöhne und bessere Arbeitsbedingungen im Tieflohnbereich zurück. Der Bundesrat illustriert dies jedoch mit dem Medianlohnunterschied und lässt die Schweiz so im internationalen Bereich sehr viel besser dastehen, als sie tatsächlich ist. Denn internationale Statistiken nennen Durchschnittslohnunterschiede, die höher sind als die Medianlohnunterschiede. Hier werden also Äpfel mit Birnen verglichen. Gemäss Statistischem Amt der Europäischen Union EUROSTAT rangiert die Schweiz 2016 mit durchschnittlich 17 Prozent Lohnunterschied sogar über dem EU-Schnitt von 16.2 Prozent.

Diese Zahlen sagen noch nichts aus zur Lohndiskriminierung. Gemäss SDG muss diese bis 2030 behoben sein und Männer und Frauen müssen für gleichwertige Arbeit gleiche Löhne verdienen. Dieses Ziel ist mit dem jetzigen Tempo nicht erreichbar. Der unerklärte Lohnunterschied als Annäherung an die Lohndiskriminierung bewegt sich seit Jahren im Bereich von 7 – 8 Prozent. Das heisst, Frauen verdienen über 7 Prozent weniger als gleichaltrige Männer mit gleicher Ausbildung, gleichem Jobniveau, gleicher Hierarchiestufe.

Die Schweiz braucht ein wirksames Gesetz, das stichprobenartige Kontrollen durch Bundesbehörden in den Betrieben sowie staatliche Sanktionen gegen fehlbare Firmen vorsieht. Das Parlament hat es zurzeit in der Hand, dies mit der Revision des Gleichstellungsgesetzes umzusetzen.

Und es braucht flächendeckende Mindestlöhne, damit gerade im prekären Bereich existenzsichernde Löhne bezahlt werden. Doch die Schweiz gehört zu 11 von 35 europäischen Ländern, die keinen solchen kennen.

Unbezahlte Pflege- und Hausarbeit (SDG 5.4)

Der Bundesrat setzt beim Ziel 5.4 ein Gutzeichen, da der durchschnittliche Aufwand für Erwerbsarbeit und Haus-/Familienarbeit etwas zurückgegangen ist. Dieser Rückgang ist natürlich begrüssenswert. Doch das allein reicht natürlich noch lange nicht. Aktuell haben wir es in der Schweiz mit Strukturen zu tun, die die von der Agenda 2030 geforderte geteilte Verantwortung von Männern und Frauen für die unbezahlte Care-Arbeit verhindern. Das neotraditionelle Modell, in dem der Mann Vollzeit und die Frau Teilzeit in einem eher tiefen Pensum arbeitet, kostet die Familien kurzfristig weniger als eine echte geteilte Verantwortung mit zwei höheren Teilzeitpensen. Die Schweiz muss also dringend vorwärtsmachen mit öffentlichen Dienstleistungen im Care-Bereich: Betreuungsangebote für Kinder und pflegebedürftige Erwachsene müssen über Steuern finanziert werden und allen in guter Qualität zur Verfügung stehen. Erst dann hat die Schweiz das Gutzeichen auch verdient, das der Bundesrat setzt.

Menschenwürdige Arbeit und geschützte Arbeitsrechte (SDG 8.5 und 8.8)

Es ist erbärmlich, welche Indikatoren im bundesrätlichen Bericht herbeigezogen werden, um diese zwei SDG zu bewerten: Erwerbsquote der Frauen (gestiegen, Häkchen) sowie Berufsunfälle (gesunken, Häkchen). Doch menschenwürdige Arbeit und geschützte Arbeitsrechte können nicht auf diese Zahlen reduziert werden. Gerade wenn es um Arbeitsrechte geht, hat die Schweiz aufzuholen: Missbräuchliche, antigewerkschaftliche, diskriminierende Kündigungen sind in der Schweiz Alltag. Das Kündigungsrecht der Schweiz entspricht weder dem ILO-Recht noch der Europäischen Menschenrechtskonvention (EMRK).

Ebenfalls schweigt der Bundesrat zu Menschen in prekären Beschäftigungsbereichen. Die Arbeit in Privathaushalten, hauptsächlich von Frauen, oft von sogenannten Pendelmigrantinnen erledigt, untersteht in der Schweiz nach wie vor nicht dem Arbeitsgesetz. Miserable Arbeitsbedingungen mit überlangen Präsenzzeiten zu schlechten Löhnen sind die Folgen. Doch der Bundesrat will diese prekäre Arbeit nicht dem Arbeitsgesetz unterstellen und so für etwas Schutz sorgen – unter anderem aus Kostengründen.

Besonders schlimm trifft es Menschen ohne gültige Papiere. Sie können in Situationen von Zwangsarbeit geraten und leben in täglicher Rechtsunsicherheit. Die Schweiz darf diese Menschen nicht noch zusätzlich kriminalisieren, sondern muss ihnen ihre Arbeitsrechte zugestehen und sie möglichst regularisieren. Der Kanton Genf macht es vor, die Schweiz muss folgen.

Wer die Agenda 2030 Ernst nimmt, muss genau hinschauen. Das tut die Plattform Agenda 2030 mit ihrem Bericht. Von Bundesrat und Parlament erwarten wir, dass sie die Agenda 2030 ebenso ernst nehmen und unseren Empfehlungen folgen. Damit die Gutzeichen 2030 der Realität entsprechen: Für echte Gleichstellung und Chancengleichheit.

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