Erziehungsgutschriften sind für die, die de facto betreuen

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Verfasst durch Doris Bianchi

Fatale Nebenwirkung der Sorgerechtsrevision

Mit dem gemeinsamen Sorgerecht sollen im Regelfall neu auch die AHV-Erziehungsgutschriften hälftig auf Vater und Mutter verteilt werden. Diese Regel ist völlig praxisfremd und bedeutet für die meisten geschiedenen und ledigen Mütter einen grossen Schritt Richtung Altersarmut.

Im Sommer beschloss das Parlament die Revision des Sorgerechts. Damit wurde das gemeinsame Sorgerecht über die Kinder auch bei Scheidung oder bei Unverheirateten als Regelfall eingeführt. Die Revision wirkt sich auch auf die AHV aus. Denn die Gewährung von Erziehungsgutschriften bei der Rentenberechnung knüpft an das Sorgerecht an.

Indirekte Diskriminierung der Frauen

Folglich müssten nunmehr auch die Erziehungsgutschriften der AHV stets geteilt werden. Dies würde empfindliche Renteneinbussen bei vielen Frauen nach sich ziehen. Die AHV-Rente von ledigen oder geschiedenen Müttern wird heute zum wesentlichen Teil von der vollen Anrechnung der Erziehungsgutschriften geprägt. Dies ist insbesondere bei Frauen der Fall, die einer Teilzeit-Arbeit nachgegangen sind oder in einer Tieflohnbranche gearbeitet haben. Die Erziehungsgutschriften von rund Fr. 42‘000 für jedes Jahr, in dem für Kinder unter 16 gesorgt wurde, sind der Hauptgrund, dass die Renten für ledige oder geschiedene Mütter heute höher ausfallen als in der Vergangenheit und im Schnitt fast 2000 Franken pro Monat betragen. Diese soziale Errungenschaft der 10. AHV-Revision wird mit der Revision über das Sorgerecht in Frage gestellt. Würde künftig bei allen Scheidungen nur die hälftige Erziehungsgutschrift angerechnet, würden die künftigen AHV-Renten vieler geschiedener oder lediger Mütter um über 100 Franken pro Monat sinken. Es droht ihnen die Armutsfalle.

Die hälftige Teilung der Erziehungsgutschriften, die künftig bei allen Scheidungen zur Anwendung kommen sollte, führt zu einer indirekten Diskriminierung der geschiedenen Mütter. Denn in der Praxis benachteiligt die hälftige Teilung die Frauen stark: Ihr massgebliches Jahreseinkommen für die AHV-Rentenberechnung wird reduziert, während die geschiedenen Väter wegen der höheren Erwerbsquote und der hälftigen Erziehungsgutschrift auf ein weit höheres Jahreseinkommen gelangen.

Wer kümmert sich de facto um die Kinder?

Die Erziehungsgutschriften sollen die Einbussen in der Altersvorsorge abfedern, die entstehen, wenn wegen der Betreuung von Kindern die Erwerbsarbeit aufgegeben oder reduziert wird. Für die Anrechnung der Erziehungsgutschrift muss es daher massgebend sein, wer sich um die Betreuung der Kinder kümmert und dadurch die Erwerbsmöglichkeiten nicht voll ausschöpfen kann. Kinder von geschiedenen Eltern wachsen heute zu 86% bei der Mutter auf. Diese Quote ist konstant. Daran hat auch die seit 2000 auf Antrag mögliche gemeinsame elterliche Sorge nichts verändert, was mittlerweile fast bei der Hälfte der geschiedenen Eltern der Fall ist. Kein neues Bild wird sich ab 2014 abzeichnen, wenn die gemeinsame elterliche Sorge zum Regelfall wird. Weniger als ein Viertel der alleinerziehenden Mütter arbeiteten 2012 Vollzeit. Die überwiegende Mehrheit arbeitet Teilzeit im Bereich von 50%.

Die hälftige Teilung der Erziehungsgutschriften bei geschiedenen Eltern, sofern nicht ein Urteil oder eine Vereinbarung eine andere Zuteilung festschreibt, federt die immer noch vorherrschenden Erwerbseinbussen der Mütter ungenügend ab. Die geschiedenen Mütter haben zwar die Möglichkeit, eine andere Aufteilung auszuhandeln und vom Gericht beschliessen zu lassen. Aber damit werden die Erziehungsgutschriften zum Verhandlungsgegenstand im Scheidungsverfahren. Neu müssen die Gerichte bzw. die Scheidungswilligen auch diesen Aspekt der Altersvorsorge im Fokus haben. Dies wird auch angesichts der Erfahrungen mit dem Vorsorgeausgleich in der beruflichen Vorsorge nicht ohne Weiteres stattfinden. Zudem dürfte die Anrechnung der Erziehungsgutschriften die ohnehin häufig schwierigen Kompromisse um die Unterhalts- und Vorsorgeansprüche erschweren. Der Verhandlungsweg erscheint in diesem zentralen Aspekt der Altersvorsorge von Frauen nicht gangbar. Die materielle Grundsicherung im Alter durch die AHV darf nicht zum Verhandlungsgegenstand gemacht werden.

Der Ständerat wird am 2. Dezember die Motion Janiak behandeln. Diese verlangt, dass die Anrechnung der Erziehungsgutschriften anhand der tatsächlichen Betreuungsverhältnisse zwingend im Scheidungsurteil oder in einer Scheidungskonvention festgehalten werden muss. Bei ledigen Eltern muss die Anrechnung durch die Kindesschutzbehörde erfolgen. Dies ist eine Verbesserung, aber die AHV-Erziehungsgutschriften bleiben ein Spielball.

SGB: Erziehungsgutschriften im Regelfall der Mutter

Vielmehr drängt sich eine Lösung auf, welche die Einkommenseinbussen, die aufgrund der Kinderbetreuung entstehen, ausgleicht. Da diese Einbussen in den allermeisten Fällen immer noch bei den Müttern vorkommen, hat der SGB dem Bundesrat mittels Schreiben vorgeschlagen, dass auch bei geschiedenen Eltern die Erziehungsgutschriften der Mutter voll angerechnet werden, ausser die geschiedenen Eltern hätten eine Teilung oder die volle Anrechnung an den Vater ausgehandelt. Diese Lösung ist einfach und klar. Sie entlastet die Gerichte von zusätzlichen Ver-handlungen und die Ausgleichskassen von zahlreichen Anpassungen. Die AHV/IV-Kommission hat an ihrer Sitzung vom 22. August dem Bundesrat ebenfalls diese Anrechnung empfohlen.

Der Bundesrat ist nun gefordert, den Zweck der Erziehungsgutschriften zu wahren und die drohende indirekte Diskriminierung vieler Mütter zu beseitigen.

Zuständig beim SGB

Julia Maisenbacher

Zentralsekretärin

031 377 01 12

julia.maisenbacher(at)sgb.ch
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