Der Nationalrat berät am 25. September 2012 die Motion des Ständerates zum Adoptionsrecht “Gleiche Chancen für alle Familien“. Die SGB-Mitgliederkommission Lesben und Schwule verlangt, dass die vom Parlament verankerten Ungleichbehandlungen im Adoptionsrecht auszumerzen sind.
Der Nationalrat lehnte die Petition „Gleiche Chancen für alle Familien“ (eingereicht vom Verein Familienchancen) im September 2011 ab. Der Ständerat entschied im März 2012 anders: Er wandelte die Petition in eine Motion um, die eine vollständige Öffnung des Adoptionsrechts verlangt, wenn die Adoption zum Wohl des Kindes ist. Der Bundesrat seinerseits will für gleichgeschlechtliche Paare nur die „Stiefkindadoption“ verwirklichen.
Nun ist wieder der Nationalrat dran. Vor der Debatte zeigt sich folgende Ausgangslage: Eine kleinere Minderheit der Kommission für Rechtsfragen lehnt die Motion ab, eine Mehrheit der Kommission bevorzugt die Variante Bundesrat und eine grössere Minderheit will die vollständige Öffnung gemäss Ständerat.
Fehlende Gleichstellung im Adoptionsrecht
Mit dem Partnerschaftsgesetz wurden von Parlament und Volk bewusst Ungleichbehandlungen geschaffen. Eine davon betrifft das Adoptionsrecht (Adoption ja von Einzelpersonen, unabhängig von der sexuellen Orientierung, aber keine Adoption durch eingetragene Partnerschaften). Diese Inkohärenz wurde auch im Ständerat hervorgehoben. Eine solche in vollem Bewusstsein geschaffene gesetzliche Ungleichbehandlung ist ebenso verwerflich wie Ungleichbehandlungen im täglichen Leben, ja sie schürt gar noch des Empfinden, dass mann/frau schon jemanden ungleich behandeln darf, weil das Gesetz das ja auch tut.
Warum kommt diese Forderung nach einem gleichstellenden Adoptionsrecht jetzt?
Die Schwulen- und Lesbenorganisationen verzichteten 2002 – 2004 darauf, die Gleichstellung einzufordern, um „den Karren nicht zu überladen“. Der Vorschlag zur eingetragenen Partnerschaft sollte nicht gefährdet werden, nachdem klar wurde, dass es keine „Homo-Ehe“ geben würde. Seither sind zehn Jahre ins Land gezogen. Alle Gesetze können geändert werden, um gesellschaftlichen Entwicklungen Rechnung zu tragen. Es ist also legitim, die gesetzlich verankerten Ungleichbehandlungen jetzt auszuräumen. Von einer Zwängerei, wie die SVP es nennt, kann deshalb keine Rede sein.
Eltern sind nicht nur Mann+Frau
Das Konzept, dass Eltern zwangsläufig nur Frau+Mann sein können, ist gesellschaftlich-moralisch konstruiert. Dass gleichgeschlechtliche Paare die sexuelle Identitätsfindung eines Kindes behindern könnten ist eine Mär. Die Erziehung zur (zwingenden) heterosexuellen Identität ist das, was in der progressiven schwul-lesbischen Meinung (seit Jahrzehnten) als Erziehung zur Zwangsheterosexualität bezeichnet wird. Kinder von lesbischen Müttern oder schwulen Vätern werden nämlich im gleichen Umfang hetero-, homo-, bi- oder intersexuell geboren wie jene der Heterosexuellen. Der Europäische Gerichtshof für Menschenrechte hat in der Frage „Eltern = nur Frau+Mann“ bereits anders geurteilt.
Vormundschaft: immer die schlechtere Lösung
In jedem Fall ist das Kindeswohl in einer stabilen Partnerschaft (Ehe, eingetragene Partnerschaft, Konkubinat) sicher besser gewährleistet als mit einer Vormundschaft. Natürlich ist es möglich, „Waisen“, die Adoptionskind einer/s überlebenden Partnerin/s werden könnten / sein sollten, rechtlich und finanziell mit anderen Mitteln, etwa über Versicherungen, abzusichern. Aber wieso kompliziert und schlecht, wenn es gut auch geht? Zudem: Zur Zeit sieht auch Frankreich die vollständige Öffnung des Adoptionsrechts vor.
Was kommt als nächstes?
Neben einer diskriminierungsfreien Adoption wird sich die SGB-Kommission Lesben und Schwule künftig mit folgenden Schwerpunkten beschäftigen müssen:
Einbürgerungsrecht: gleiches Recht für Ehepaare und eingetragene Partner/innen;
Zugang zu künstlichen Befruchtung: entweder für alle ja oder für alle nein;
Artikel 261bis (heute Rassendiskriminierung): auch die Diskriminierung aufgrund von sexueller Orientierung/Identität ist unter Strafe zu stellen.
Schliesslich muss alles Erreichte auch umgesetzt werden!
Die Gewerkschaften schliesslich müssen in ihren GAV den Adoptionsurlaub nicht nur für heterosexuelle, sondern für alle, also auch gleichgeschlechtliche, Paare und Einzelpersonen zugänglich machen.