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Herbstsession II

Mietzinsmaxima für Ergänzungsleistungen anheben: SGB gegen Abschieben auf lange Bank

Der Bundesrat will auf Anregung des Parlamentes im Gesetz über die Ergänzungsleistungen die Höchstbeiträge für die anrechenbaren Mietzinse erhöhen. Das ist richtig und gut. Jetzt aber bockt plötzlich die bürgerliche Mehrheit der Nationalratskommission. Für den SGB ist die Kehrtwende inakzeptabel.

(Doris Bianchi) Wer Mühe hat, über die Runden zu kommen, kann heute Ergänzungsleistungen zu seiner AHV- oder IV-Rente beantragen. Dabei werden die Mietausgaben berücksichtigt. Alleinstehenden können maximal Fr. 1‘100.-, Verheirateten maximal Fr. 1‘250.- pro Monat als Mietzinsausgaben angerechnet werden. Damit sind aber die hohen Wohnkosten in der Schweiz bei weitem nicht abgedeckt. Die Folge: die Betroffenen müssen sich den nicht gedeckten Teil des Mietzinses vom Mund absparen. Die letzte Anpassung der Mietzinsmaxima erfolgte vor 14 Jahren. Seither sind die durchschnittlichen Wohnkosten um mehr als 20 Prozent gestiegen. Eine Anpassung ist also überfällig. Der Handlungsbedarf ist von der Politik erkannt worden. Im Dezember 2011 hat die nationalrätliche Kommission für soziale Sicherheit und Gesundheit eine entsprechende Motion überwiesen. Drei Jahre später hat der Bundesrat dem Parlament eine Teilrevision des Ergänzungsleistungsgesetzes (ELG) mit einer bescheidenen Anpassung der Mietzinsmaxima vorgelegt.

Unverständliche Kehrtwende

Ende Juni dieses Jahres hat nun aber die gleiche Kommission beschlossen, diese Vorlage an den Bundesrat zurück zu weisen. Eine knappe Mehrheit der Kommission war der Meinung, dass die Anpassung der Mietzinsmaxima erst im Rahmen der geplanten Totalrevision des ELG behandelt werden sollte. Damit würde sich diese dringende Anpassung um Jahre verzögern; mit einer Erhöhung der Mietzinsmaxima wäre erst gegen 2020 zu rechnen.

Rückweisung verhindern

Der Rückweisungsantrag der Kommission kommt am 22. September in den Nationalrat. Der SGB akzeptiert diese Rückweisung nicht. Er wird sich zusammen mit weiteren Organisationen der Senioren, Behinderten, Frauen und der Gesundheitsberufe einen solchen Beschluss bekämpfen. Diese Allianz, die auch im Rahmen der geplanten ELG-Totalrevision für würdige Ergänzungsleistungen eintritt, wird sich am 22. September öffentlich sichtbar für angepasste Ergänzungsleistungen einsetzen. Denn solche sind unverzichtbar für ein würdiges Leben vieler AHV- und IV-Rentenbezügerinnen und -bezüger.

Das Ladenöffnungszeiten-Märchen

(Luca Cirigliano) Es war einmal ein Ständerat, der behauptete, wenn man die Kantone zwänge, ihre Ladenöffnungszeiten zu vereinheitlichen, dann würden die Folgen des starken Frankens neutralisiert … und der Einkaufstourismus würde verschwinden!

Dieser Ständerat hiess Filippo Lombardi, und ES passierte nicht vor „langer, langer Zeit in einem fernen Land“, sondern dieses Jahr in der Schweiz.

Ständerat Lombardi behauptet, Bewohner/innen von z.B. Basel-Stadt oder Fribourg würden nicht nach Deutschland oder Frankreich einkaufen gehen, wenn die Läden unter der Woche bis um 20h und Samstag bis 18h offen wären… Aber Ständerat Lombardi ist manchmal vergesslich: Grenzkantone wie Zürich oder Aargau kennen bereits viel längere Ladenöffnungszeiten; der Einkaufstourismus floriert da aber noch krasser! Und Ständerat Lombardi liest offenbar auch nicht viel: Sicherlich nicht die hochoffizielle Studie des SECO, die feststellt, dass längere Ladenöffnungszeiten nicht zu mehr Umsatz führten und sogar schädlich seien für kleinere Geschäfte (SECO, Volkswirtschaftliche Auswirkungen flexibler Ladenöffnungszeiten, Arbeitsmarktpolitik Nr. 12, Bern 2005).

Aber nicht nur Rat Lombardi, nein, gleich auch die Wirtschaftskommission des Ständerats (WAK-S) hat sich entschlossen, fest daran zu glauben, dass längere aufgezwungene Ladenöffnungszeiten gegen den starken Franken wirken! So hat die Kommission der Lombardi-Motion trotz des Widerstands von Kantonen und Gewerkschaften zugestimmt und die Verlängerung der Ladenöffnungszeiten an Werktagen und samstags gutgeheissen. Die Kommissionsmehrheit missachtet damit die Angestellten, die nun noch länger arbeiten sollen, und die Stimmbürger/innen vieler Kantone. Denn diese haben in den letzten Jahren in einem Dutzend kantonaler Volksabstimmungen den Läden am Abend und an Samstagen keine längeren Öffnungszeiten erlaubt.

Die von längeren Öffnungszeiten betroffenen Arbeitnehmenden lehnen diese Verschlechterung ihrer bereits heute prekären Arbeitsbedingungen ab. Zudem fehlt im Detailhandel ein Gesamtarbeitsvertrag. Die Arbeitstage würden mit den neuen Rahmenöffnungszeiten (unter der Woche 6-20 Uhr, an Samstagen 6-18 Uhr) für die Angestellten noch unregelmässiger und zerstückelter.

Das Ständeratsplenum muss nun endlich für Vernunft sorgen und seiner Rolle als Kammer der Kantone gerecht werden. Sollten die kleine und später die grosse Kammer am Konfrontationskurs mit den Kantonen und den Arbeitnehmenden der betroffenen Branchen festhalten, wird am Ende das Volks entscheiden müssen.

Bundespersonal: Stimmungsmache mit Vorstössen

(Dore Heim) Das Bundespersonal steht unter Dauerbeschuss. Die Berichterstattung in den Medien skandalisiert Stellenzuwachs und Lohnentwicklung. Einzelvorstösse und solche aus den beiden Finanzkommissionen stossen ins selbe Horn. Sie werden voraussichtlich am 23. September im Ständerat und tags darauf im Nationalrat behandelt. Der Bundesrat hat aber bereits jetzt schon Sparmassnahmen beschlossen: keine allgemeine Lohnerhöhung im 2016, Kompensation jeder neuen Stelle durch interne Sparmassnahmen und einen kalten Lohnabbau ab 2016. Ab dann soll der Lohnanstieg wegen guter Leistung um bis zu zwei Prozentpunkte gesenkt werden. Konkret bedeutet dies für jüngere und auch für neue Mitarbeitende, dass sie im Vergleich mit KollegInnen in den gleichen Funktionen und Tätigkeiten ab jetzt immer massiv weniger Lohn haben werden.

Niemand erinnert mehr daran, dass bis 2007 im Zuge eines grossen Abbauprogramms 2500 Stellen gestrichen wurden und darüber hinaus ganze Bereiche an Externe ausgelagert wurden. Konkret ist der Anteil der Personalkosten an den Bundesausgaben in den letzten vier Jahren nur um 0.4% gestiegen, während das gesamte Ausgabenbudget um 8% gestiegen ist. Wir haben europaweit mit 31.3% die tiefste Staatsquote und sie sinkt tendenziell. Von skandalöser Entwicklung beim Personal kann keine Rede sein.

Pro Service public-Initiative: gefährliche Mogelpackung

(Dore Heim) Die Popularität der „Pro Service public“-Initiative darf nicht unterschätzt werden, Post, Swisscom und SBB geben genug Anlass für steten Ärger. Und die Initiative gaukelt uns vor, ihre Annahme stärke den Service public, sichere die Qualität in der Grundversorgung – kurz, sie löse all die Probleme, die sich heute durch das Geschäftsgebaren der drei Unternehmen ergeben. Grosser Irrtum! Die Initiative würde ganz im Gegenteil die Privatisierung der lukrativen Bereiche von Post, Swisscom und SBB beschleunigen und dem Bund massive Einnahmeverluste bescheren. Verboten wäre nämlich künftig das Gewinnstreben in der Grundversorgung und verboten wäre auch eine Gewinnbeteiligung des Bundes. Postfinance macht aber Grundversorgung und ist hoch lukrativ, und dank Postfinance fliessen bisher jährlich 200 Mio. Franken in die allgemeine Bundeskasse. Swisscom ist eine privatrechtliche Aktiengesellschaft, die jährliche Ausschüttung an den Bund als Mehrheitseigner, vermutlich auch aus dem Gewinn in der Grundversorgung, macht jeweils gut 600 Mio. Franken aus. Einnahmen, die der Bund für den weiteren Service public, für Bildung, Gesundheit, Soziales und Kultur verwendet.

Bei der SBB wird gezielt Gewinn mit den Immobilien und den Fernverbindungen – auch das ist Grundversorgung – erwirtschaftet. Der Ertrag von gut 200 Mio. Franken fliesst hier zurück ins Unternehmen für die Kosten der Infrastruktur und schlecht frequentierter Verbindungen. Wenn dieses Geschäftsmodell aufgegeben würde, müsste der Bund in die Bresche springen.

Die Initiative würde die Bundeskasse plündern und zur Privatisierung der gewinnbringenden Unternehmensteile führen. Sie ist eben keine „pro“-Initiative, sondern eine gefährliche Mogelpackung!

NAF-Diskussion: Die Milchkuh im Genick

(Dore Heim) Der SGB hat befürchtet, was nun eintritt: die Diskussion um den geplanten Nationalstrassen- und Agglomerationsprogramme-Fonds (NAF) wird geprägt von der Milchkuh-Initiative der Strassenlobby. Entgegen dem bereits sehr moderaten Vorschlag des Bundesrats zur Erhöhung des Mineralölsteuerzuschlags um nur sechs Rappen will die Mehrheit der zuständigen Ständeratskommission für Verkehr und Fernmeldewesen (KVF-S) den Zuschlag nur um vier Rappen erhöhen. Dafür will sie aber künftig statt der Hälfte neu 55% der Mineralölsteuereinnahmen für die Strassenfinanzierung zweckbinden, also gut 150 Mio. Franken mehr. Das Konstrukt des NAF sieht ja bereits vor, dass die Einnahmen aus der Automobilsteuer in den Fonds fliessen, der Bundeskasse entgingen damit jährlich rund 400 Mio. Franken. Nach Willen der Mehrheit der KVF-S wären es dann jährlich 550 Mio. Franken. Der SGB lehnt diese kurzsichtige und einseitige Lastenverteilung ab. Der Strassenverkehr verursacht heute hohe externe Kosten von rund 7 Mrd. Franken jährlich, für die die Allgemeinheit aufkommt. Autofahren wurde in den letzten Jahren wegen der verbrauchsärmeren Motoren immer billiger. Es wäre auch ein Aufschlag von mehr als nur sechs Rappen absolut verkraftbar.

Immerhin – einen echten Fortschritt gegenüber der Bundesratsvorlage gibt es zu verzeichnen: die KVF-S will für Verkehrsprojekte im öV und Langsamverkehr in Städten und Agglomerationen zwischen 9 bis 12 Prozent der Fondsmittel reservieren.

Zweite Runde für die Energiestrategie 2050: Geordneter Atomausstieg bleibt vordringlich

(Dore Heim) Das Gute vorweg: Die ständerätliche Kommission für Umwelt, Raumplanung und Energie, UREK-S, legt betreff Eigenverbrauch eine Regelung vor, die der dezentralen Stromproduktion aus erneuerbaren Energien, aber auch aus Wärme-Kraft-Kopplung echten Schub geben könnte: Betreiber von Anlagen könnten künftig die selbst produzierte Energie am Ort der Produktion verkaufen, als Grundeigentümer ihre MieterInnen und Pächter damit beliefern und sich mit anderen Grundeigentümern als Eigenverbrauchsgemeinschaft zusammenschliessen. Die MieterInnen und Pächter hätten natürlich die Wahlmöglichkeit, den Strom von ihrem Besitzer oder weiterhin vom lokalen EVU zu beziehen.

Bitter ist dagegen, dass die Mehrheit der UREK-S ein Langzeitbetriebskonzept für die AKW ablehnt und die Wasserkraftbetreiber grosszügig mit Geld versorgen will, das aus dem Netzzuschlag stammt. Geld, das eigentlich für den Zubau von neuen erneuerbaren Energien gedacht wäre. Nicht nur soll ein Investitionsbeitrag für neue Wasserkraftanlagen und Erweiterungen bezahlt werden, sondern es sollen auch Grosskraftwerke in Notlagen unterstützt werden. 

Ebenfalls ein neues Element ist die Befristung der Unterstützung für erneuerbare Stromquellen spätestens sechs Jahre nach Inkrafttreten des Gesetzes resp. ab 2031. Ab dann sollen keine Gesuche mehr bewilligt werden. Auch das wohl ein Einknicken gegenüber den grossen Stromunternehmen, denn es ist zum jetzigen Zeitpunkt unwahrscheinlich, dass sich die Energiewende ab dann am Markt finanzieren wird. Zu gross ist die Überkapazität von Strom in Europa und dort bestimmt sich der Preis. Es glaubt ja auch niemand im Ernst, dass eine Energielenkungsabgabe unabhängig von der EU eingeführt wird. Dafür wird von der UREK-S nun die schweizerische Dreckstromabgabe konstruiert, womit hauptsächlich der Import von Kohlestrom verteuert würde. Strom aus inländischer Wasserkraft, aber eben auch aus Atomkraft würde sich so wieder eher rechnen. Das aber könnte die Schweiz dann mal teuer zu stehen kommen, denn die Nachrüstung der AKW verschlingt Unmengen von Geld, ohne dass deshalb die Stilllegung und Entsorgung billiger würde. Der planbare, geordnete Ausstieg bleibt dringlich.

Gegen Asylmoratorium

(José Corpataux) Beide Räte diskutieren in einer ausserordentlichen Session eine SVP-Motion „für ein sofortiges Asylmoratorium“. Der Bundesrat soll mittels Notrecht die Anwendung des Asylgesetzes für mindestens ein Jahr teilweise ausser Kraft setzen. Wörtlich: „Während dieser Zeit dürfen keine Personen mehr ins Asylverfahren aufgenommen werden. Es dürfen auch keine Personen mehr als Flüchtlinge anerkannt oder als Kontingentsflüchtlinge in die Schweiz geholt werden.“ Und so weiter…

Täglich zeigt uns das Fernsehen weinende Kinder vor europäischen Grenzzäunen. Der Vorstoss ist oberzynisch. Eigentlich müssten sich seine Urheber schämen. Aber dazu müssten sie ein Inneres haben, wo sich Scham niederlassen kann…

 

Zuständig beim SGB

Daniel Lampart

Premier secrétaire et économiste en chef

031 377 01 16

daniel.lampart(at)sgb.ch
Daniel Lampart
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