Von tibetanischen Gebetsmühlen und Versenkungs-Übermut

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Verfasst durch Ewald Ackermann

Nationalrat behandelt Mindestlohninitiative


Es steht leider zu befürchten, dass nach dem Ständerat auch eine Mehrheit der grossen Kammer die Mindestlohninitiative des SGB schlankweg ablehnen wird. Die Mehrheit der Räte verweigert eine wirkliche Auseinandersetzung mit den Forderungen des Volksbegehrens und wiederholt lieber gebetsmühlenartig das Bekenntnis zum liberalen Arbeitsmarkt. Vor dem Volk aber werden die Karten neu gemischt.

Mit 31 gegen 13 Stimmen hat in der Herbstsession der Ständerat die SGB-Mindestlohninitiative abgelehnt. Mit 18 zu 7 Stimmen beantragt die WAK-N ihrem Plenum, am 27. November ebenso zu verfahren. Die Kommission hat ihren Entscheid auf drei Argumente gestützt.

Nur wenige betroffen?

Es sei nur eine geringe Zahl von Erwerbstätigen von Tieflöhnen betroffen, meint die WAK-N zum ersten.

Gut 335‘000 Menschen erreichen heute nicht die 22 Franken pro Stunde, welche die Initiative als gesetzlich zwingende Lohnuntergrenze festlegt. Das sind gut 9 % aller Beschäftigten. Ist das eine „geringe Zahl“? Kommt dazu, dass ein gutes Drittel der Betroffenen über eine abgeschlossene Lehre verfügt. Ist denn der Grundsatz, dass jemand, der eine Lehre erfolgreich abgeschlossen hat, anschliessend in seinem gelernten Job über die Runden kommen soll, plötzlich so antiquiert? Heisst fair nicht auch heute noch, dass die, die voll und hart arbeiten, mit ihrem Verdienst leben sollen können? Oder will man den 60‘000 Frauen, die im Detailhandel zu Tieflöhnen arbeiten, demnächst vorschreiben, dass sie nur dann Kinder haben sollen, wenn sie mit einem Manager liiert sind? Und was sagt man den Betroffenen im Gastgewerbe, bei den Callcenters, in der Sicherheit, in der Reinigung, bei den Seilbahnen usw.?

Ein vorübergehendes Phänomen?

Es seien nur die Jungen, zu Anfang ihrer Berufskarriere, wo man eben ein bisschen unten durch müsse, nach ein paar Jahren wende sich dann das Blatt zum Besseren.

Auch das zweite Argument der Initiativgegner stimmt nicht. In Staaten, wo sich Jugendliche via schulische Ausbildung in die Berufswelt hineintasten, mag es zutreffen; in der Schweiz, mit ausgeprägter dualer Berufsbildung, nicht. Bleibt beizufügen, dass die Initiative alle Arbeitsverhältnisse mit Ausbildungscharakter vom Mindestlohn ausschliesst. Zweifellos gibt es ein paar Student/innen, die zwischendurch für einen auf Vollzeit hochgerechneten Job weniger als 4000.- verdienen. Aber sie sind nicht die typischen Tieflöhner in der Schweiz. Die typischen Tieflöhner in der Schweiz sind mit über 70 % aller Betroffenen bestandene Berufsleute, über 25 Jahre alt, für die es trotz voller Arbeit kaum den Weg nach oben gibt.

Der liberale Arbeitsmarkt

Er, „das Erfolgsmodell“, dürfe nicht durch staatliche Eingriffe gefährdet werden. Solche Eingriffe seien den Sozialpartnern in guter Kenntnis der jeweiligen Umstände zu überlassen.

Auch dieses dritte Argument sticht nicht. Die Initiative will nicht bloss den gesetzlichen Mindestlohn. Sie fordert in Absatz 1 und 2, dass Bund und Kantone die Löhne schützen und dazu die Festlegung von Mindestlöhnen in Gesamtarbeitsverträgen (GAV) fördern sollen. Heute kennen nur gut 40 % aller Beschäftigten einen Mindestlohnschutz per GAV. Das ist im europäischen Vergleich sehr mager und entlarvt die Sonntagspredigten auf die Sozialpartnerschaft. Fakt ist: Viele Arbeitgeber weigern sich, einen GAV abzuschliessen. Gerade im Hinblick auf den Schutz der üblichen Löhne gegen Dumping im Rahmen der Personenfreizügigkeit hätte der Bund nach Annahme der Initiative mehr Möglichkeiten, die Verbreitung von GAV und von Mindestlöhnen in GAV zu fördern, dies etwa durch angemessene Quoren für die Allgemeinverbindlichkeit (AVE) von GAV oder durch GAV-Pflicht bei öffentlichen Aufträgen, bei Erteilung von Konzessionen und Subventionen und bei Auslagerungen. Das wäre soziale Marktwirtschaft…

Die Mehrheit der eidgenössischen Räte verbietet sich selbst den differenzierten Blick in die Problematik der Mindestlöhne. Geradezu übermütig will sie die Initiative versenken, ohne das Problem anzugehen. Gut möglich, dass die Kapitäne dieses Kurses dereinst schlecht erwachen, wenn das Volk entscheidet.

Zuständig beim SGB

Daniel Lampart

Sekretariatsleiter und Chefökonom

031 377 01 16

daniel.lampart(at)sgb.ch
Daniel Lampart
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