Nun sieht‘s auch Merkel ein

  • Gewerkschaftspolitik
Artikel
Verfasst durch Ewald Ackermann, Redaktor SGB

Deutschland hat bis heute keinen gesetzlichen Mindestlohn. Gewerkschaften und linke Parteien fordern zwar seit geraumer Zeit einen solchen, Schwarz-Gelb aber betonierte. Vor wenigen Tagen nun hat Kanzlerin Angela Merkel öffentlich eine Kehrtwende vollzogen.

Lange Zeit muss er sich sehr einsam vorgekommen sein, der ehemalige IG-Metall-Betriebsrat Karl-Josef Laumann, Bundesvorsitzender der Christlich-Demokratischen Arbeitnehmerschaft und damit Anführer des christlichsozialen Flügels in der CDU. Die Parteispitzen hielten nichts von seinem Vorschlag, dass die von links und den Gewerkschaften gepushte Idee eines gesetzlichen Mindestlohnes auch in einem C-Forderungskatalog zu stehen habe. Seit Ende Oktober ist dies anders; die Kanzlerin höchstpersönlich spricht sich nun gemeinsam mit ihrer Arbeitsministerin van der Leyen für eine „feste Lohnuntergrenze“ aus, was nichts anderes als einen staatlich garantierten Mindestlohn meint. Favorisiert wird für den Moment die Idee, dass eine Kommission der Sozialpartner in den Branchen ohne Tarif- und Lohnverhandlungen einen solchen Mindestlohn zu erlassen und anzupassen hätte. Als Referenz gilt dabei für den Moment ein Wert von knapp 7 Euro für den Osten und von knapp 8 Euro für den Westen. Der DGB dagegen fordert mindestens 8.50 Euro landesweit.

Ein höchst bemerkenswerter Sinneswandel in der deutschen Chefetage, für den zwei Motivbündel auszumachen sind: 

1.      Je länger über Mindestlöhne diskutiert wird, je mehr demzufolge über Mindestlöhne empirisch geforscht wird, desto mehr zeigt sich, dass die bloss aus geschlossenen neoliberalen Ideologiegebilden abgeleiteten Gleichungen à la „Mindestlohn = mehr Arbeitslosigkeit“ nur den Geist der Verfasser, aber nicht der Tatsachen spiegeln. Arbeitsministerin van der Leyen hat denn auch von sechs deutschen Forschungsinstituten Studien zu den Auswirkungen von „festen Lohnuntergrenzen“ verlangt. Durch Indiskretion bekannt geworden ist, dass keine dieser Studien entsprechende Nachteile ortet.

2.      In einem Land, in dem 7 % aller Beschäftigten zu Bruttolöhnen unter 6 Euro/Stunde arbeiten (und dies ohne Lehrlinge und 1 Euro-JobberInnen), also gerade mal 1000 Euro brutto pro Monat verdienen, herrscht eine soziale Misere, mit der sich keine Bundeswahl gewinnen lässt.

Ist der Sinneswandel der Kanzlerin nur pragmatische Kunst des Überlebens im Amt? Und: Wird die Chefin die aufbegehrenden liberalen und konservativen Flügel überzeugen können? Das wissen wir nicht. Das grüne Licht der Kanzlerin für den Mindestlohn ist jedoch an sich ein starkes Zeichen.

Zuständig beim SGB

Daniel Lampart

Sekretariatsleiter und Chefökonom

031 377 01 16

daniel.lampart(at)sgb.ch
Daniel Lampart
Top