Neues zur Geschichte der Schweizer Arbeiterbewegung

  • Gewerkschaftspolitik
Artikel
Verfasst durch Ewald Ackermann

Winter. Kurze Tage, lange Nächte. Zeit zu lesen, Zeit für Filme. Wer sich für die Geschichte der Schweizer Arbeiterbewegung interessiert, hat da gleich eine dreifache Auswahl. Zwei der hier vorgestellten Werke sind brandneu, eines bleibt aktuell.

Da wär zuerst einmal ein kurzer, fundierter und trotzdem verständlich geschriebener Abriss zum Thema Film und Arbeiterbewegung in der Schweiz. Nach dem Ersten Weltkrieg begann die Arbeiterbewegung in der Schweiz, den Film als Mittel zur Selbstdarstellung und zur Propaganda ihrer Ziele einzusetzen. Der „soziale Film“ erlebte seine Blütezeit in den Dreissiger und Vierziger Jahren des letzten Jahrhunderts. Die Schweizerische Arbeiterbildungszentrale SABZ – heute Movendo – betrieb damals einen rege benutzten Filmverleih. Sie sorgte mit Aufträgen gleichzeitig dafür, dass dieser stets durch neue „seriöse“ Produktionen am Leben erhalten werden konnte. Seriös hiess bildend – und stand denn teils auch in Widerspruch zum (dominanten) Verlangen nach leichter unterhaltsamer Kost.

Dieser Geschichte widmet sich die Studie von Länzlinger/Schärer. Im Zentrum stehen die sogenannten „sozialen Filme“: Produktion, Verschränkung von Form und Botschaft sowie die Rezeption werden analytisch durchleuchtet. Auf den ersten Blick scheint das etwas für Spezialist/innen zu sein. Es ist aber viel mehr: Ablesbar wird an der „Filmgeschichte“ die Geschichte der Arbeiterbewegung selbst.

Filmbesprechungen und –wertungen ohne Kenntnis der Filme wären wie Seife ohne Wasser. Deshalb sind auf einer DVD, die dem Buch mitgegeben ist, 8 Filme eingebrannt, teils neu vertonte Stummfilme. Damit können wir einige Hauptwerke des sozialen Films in der Schweiz neu entdecken. 6 dieser Filme werden im Buch vertieft analysiert. Man hat also die Wahl für lange Nächte: schauen oder lesen oder beides. Und wer auf den Geschmack gekommen sein sollte: eine kommentierte Filmografie 1917 – 1962 würde weitere solche Streifzüge ermöglichen.

Stefan Länzlinger, Thomas Schärer: Stellen wir diese Waffe in unseren Dienst. Film und Arbeiterbewegung in der Schweiz. Hrsg. vom Schweiz. Sozialarchiv. Chronos Verlag Zürich, 2009. 184 S., mit DVD, Fr. 38.-.

Geschichte des 1. Mai in der Schweiz

2007 dissertierte der Sozial- und Kulturhistoriker Urs Anderegg mit einer Geschichte des 1. Mais in der Schweiz. Diese Arbeit ist nun vor kurzem leicht überarbeitet einem grösseren Publikum zugänglich gemacht worden.

Anderegg versteht den 1. Mai „als Seismograph für die Entwicklung der Demonstrations- und Festkultur […] der Arbeiterbewegung“. Er unterscheidet, in Anlehnung an die gängige Periodisierung der Schweizer Arbeiterbewegung, 6 Phasen der Entwicklung, die allerdings nur für die urbane Schweiz gelten. Für die ländlichen Gegenden, in denen eine „konsumorientierte Wende“ früher eingesetzt hatte (in den Städten ab ca. 1950), wird eine andere Entwicklung konstatiert. Der Aufbruch der 70er und 80er Jahre, vorangetrieben durch die neue Linke, fehlt. Ein Volksfest wird der 1. Mai auf dem Land erst in der 90ern, aber nicht so alternativ geprägt wie in den Städten, wo sich eine „autonom linke Festkultur“ festsetzt. Auch andere Differenzen sucht Anderegg heraus zu arbeiten, etwa zwischen Deutsch und Welsch, zwischen Anpassung an ausländische Modelle und autonomer Entwicklung, zwischen dem politischen Diskurs der Eliten und der Festpraxis der Teilnehmenden. Letztlich jedoch wertet Anderegg das Einigende stärker als das Trennende. Aktuell sieht er im 1. Mai „ein Ritual, das den Beteiligten in erster Linie zur Darstellung ihrer Existenz, Vitalität und ihrer sozialen Rolle dient.“

Fazit: die umfangreichste Arbeit zum 1. Mai in der Schweiz, reich an methodischer Annäherung, reich an erfasstem Material, aber in den Zusammenfassungen ein bisschen ungelenk und damit trennunscharf formuliert (siehe „Darstellung ihrer Existenz“ im Zitat oben). Dennoch: wer sich vertieft mit der Geschichte des 1. Mais beschäftigen will, kann um dieses Werk keine Kurve machen.

Urs Anderegg: Der 1. Mai in der Schweiz. Vom Traum einer besseren Welt. Tectum-Verlag 2008. 692 S. 39,90 Euro.

Vom Wert der Arbeit

Und dann gibt es da, 2006 herausgekommen, aber immer noch aktuell, das reich illustrierte und lebendig geschriebene Werk „Vom Wert der Arbeit“, das die Geschichte der Arbeiterbewegung auch in Geschichten aufleuchten lässt. Ein Team von Spezialist/innen bürgt für inhaltliche und methodische Vielfalt. Etwas vom besten auf dem Büchermarkt für den schnellen und doch tiefen Einblick in die Geschichte der Schweizer Arbeiterbewegung.

Vom Wert der Arbeit. Schweizer Gewerkschaften – Geschichte und Geschichten. Rotpunkt 2006. 367 S. Das Buch kann zu Sonderkonditionen für 20.- (inkl. Porto) beim SGB (info(at)sgb.ch) bestellt werden.

Zuständig beim SGB

Daniel Lampart

Sekretariatsleiter und Chefökonom

031 377 01 16

daniel.lampart(at)sgb.ch
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