In Genf geht diesen Freitag ein aussergewöhnlicher Prozess zu Ende. Erwin Sperisen, Ex-Polizeichef in Guatemala und schweizerisch-guatemaltekischer Doppelbürger, ist des Mordes und systematischer Säuberungen angeklagt. Dass es zum Prozess überhaupt kam, ist auch ein Verdienst der CGAS, des Genfer Gewerkschaftsbundes.
Erwin Sperisen, „Wikinger“ genannt, ist schweizerischer Abstammung und schweizerisch-guatemaltekischer Doppelbürger. Er wurde im Juli 2004 vom Innenminister der neuen rechtsgerichteten Regierung zum Polizeichef Guatemalas berufen, ohne entsprechende berufliche Erfahrungen aufzuweisen. Dieses Amt übte er bis März 2007 aus. Er gehörte während dieser Zeit zu den schlimmsten Schergen eines äusserst repressiven Systems, das regelmässig zum mörderischen Mittel umfassender politischer und sozialer Säuberungen griff.
Blutige Unterdrückung von Gewerkschaften
Die internationale Kommission des Genfer Gewerkschaftsbundes, der CGAS, berichtete seit 2004 über die blutigen Aktivitäten des Systems und von Sperisens Polizei. Gut vernetzt mit den internationalen Gewerkschaftsvereinigungen, dokumentierte sie Fälle von Vertreibung von Landarbeitern, von Attacken auf Gewerkschaften, von Morden bei Manifestationen, die wahrscheinlich von der Polizei ausgeführt, aber nie aufgeklärt wurden. Die internationalen Gewerkschaftsvereinigungen protestierten ebenfalls mehrmals gegen solche Säuberungen – und gegen das Schweigen danach.
Jahrelang dran
Im März 2007 trat Sperisen nach einem Mordanschlag auf drei salvadorianische Abgeordnete und ihren Chauffeur sowie nach der Ermordung von deren mutmasslichen Mördern, vier Polizisten (die sich in einem Hochsicherheitsgefängnis befanden), von seinem Amt zurück und floh aufgrund seiner Doppelbürgerschaft in die Schweiz, konkret nach Genf. Nur drei Monate später reichten dann die CGAS, die ACAT (Aktion der Christen für die Abschaffung der Folter) und Uniterre (die unabhängige Bauerngewerkschaft) in der Schweiz eine erste Klage gegen Sperisen ein. Dieser Aktion folgten weitere juristische Schritte der verbündeten Kräfte aus Genf und anderer Vereinigungen. Im Juli 2010 stellte die guatemaltekische Justiz schliesslich einen internationalen Haftbefehl aus, in deren Folge die Genfer Staatsanwalt den ehemaligen Polizeichef 2012 verhaftete.
Wider das Vergessen
Der gegenwärtige Prozess in Genf bezieht sich nicht auf die gesamte repressive Tätigkeit der Polizei während Sperisens Führung. Im Zentrum stehen aufgrund des internationalen Haftbefehls zwei Fälle, in denen Sperisen persönlich des Mordes angeklagt ist und bei denen auch Zeugen für dieses eigenständige Handeln aufzubieten waren. Sperisen soll dabei die Ermordung von Gefangenen geplant, befohlen und in einem Fall sogar eigenhändig durchgeführt haben. Der Staatsanwalt hat denn auch lebenslänglichen Freiheitsentzug gefordert.
Welches Urteil auch immer das Gericht am 6. Juni verkünden wird: Schon nur die Tatsache, dass blutige Unterdrücker, die sich hinter einem System verstecken oder hinter denen sich ein System versteckt, endlich zur Rechenschaft gezogen werden, ist zu begrüssen. In diesem Sinn ist auch den Organisationen rund um die CGAS zu danken, die im vorliegenden Fall beharrlich wider das Vergessen ankämpften.