ältere Frau führt Haushaltsbuch

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Keine Besteuerung der Existenzsicherungsleistungen

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Artikel
Verfasst durch Doris Bianchi

Sessionsvorschau II

Nach dem Willen des Ständerates sollen Betagte, Invalide und Ausgesteuerte auf ihren Ergänzungs- und Sozialhilfeleistungen auch noch Steuern bezahlen. Zu hoffen ist, dass der Nationalrat diesen Beschluss korrigiert. Die Anzeichen dafür stehen günstig.

Der Ständerat überwies im letzten Dezember eine Motion seiner Wirtschaftskommission, die fordert, dass Unterstützungsleistungen aus öffentlichen und privaten Mitteln sowie AHV- und IV-Ergänzungsleistungen der Einkommenssteuer unterstellt werden und gleichzeitig das Existenzminimum steuerlich entlastet wird. Die Idee hinter diesem Vorstoss war, die Betagten, Invaliden und Ausgesteuerten zur Erwerbsarbeit zu motivieren.

Dass damit aber keine Erwerbsanreize geschaffen werden, sondern die Betroffenen noch stärker in finanzielle Bedrängnis gebracht werden und eine unsinnige bürokratische Verschiebung von Steuermittel verursacht wird, hat die Wirtschaftskommission des Nationalrates erkannt. Sie schlägt dem Ratsplenum vor, die Motion abzulehnen.

Sozialhilfeleistungen werden zur Behebung einer finanziellen Notlage ausgerichtet. Die Ergänzungsleistungen (EL) dienen der Existenzsicherung bei Bezug einer Rentenleistung der 1. Säule (AHV/IV). Sozialhilfeleistungen und EL sind steuerfrei. Das ist sozialpolitisch motiviert. Die zur Behebung einer Notlage oder zur Existenzsicherung gewährten finanziellen Mittel sollen der bedürftigen Person ungeschmälert zugutekommen, ansonsten würde der Zweck dieser Leistungen unterlaufen. Denn eine infolge der Steuerbelastung reduzierte Unterstützungsleistung zur Existenzsicherung würde eben nicht mehr die Existenz absichern. Dies entspricht auch dem verfassungsmässigen Grundsatz der Besteuerung nach der wirtschaftlichen Leistungsfähigkeit. Wer nur das Existenzminimum hat, hat keine wirtschaftliche Leistungsfähigkeit, die besteuert werden kann.

Gleichzeitig gibt es aber im schweizerischen Steuersystem keinen Anspruch auf eine Steuerbefreiung des Existenzminimums, das durch Erwerbseinkommen erwirtschaftet wird. Die Steuerbefreiung des Existenzminimums als wichtige Massnahme zur Armutsbekämpfung fordert der SGB schon lange. Während auf Bundesebene bei der direkten Bundessteuer dank der Tarifgestaltung und den Abzügen Einkommen im Bereich der Existenzsicherung faktisch nicht besteuert werden, greift in vielen Kantonen die Steuerpflicht bereits deutlich unter dem Existenzminimum.

Dem Bund sind jedoch wegen der Finanzautonomie der Kantone sehr enge Grenzen in der Steuergesetzgebung gesetzt. Eine Definition des Existenzminimums oder wie die Befreiung zu bewerkstelligen ist, würde bereits in die Finanzautonomie der Kantone eingreifen. Es ist zu erwarten, dass die Kantone dagegen opponieren würden. Eine formelle Vorschrift im Sinne eines Grundsatzes würde aber im Vergleich zum Status quo kaum Veränderungen nach sich ziehen. Die Kantone wären immer noch frei, das Existenzminimum selber zu definieren und unter die Anspruchsgrenze von Sozialhilfe und EL zu gehen.

Da es offensichtlich ist, dass weder die Sozialhilfeansätze und die EL-Ansätze für die Begleichung der neuen steuerlichen Abgaben erhöht werden noch das Existenzminimum in der kantonalen Steuerpraxis befreit wird, läuft die Steuerbarkeit von Unterstützungsleistungen auf das Herunterdrücken des Existenzminimums der Sozialhilfe und jenes der EL hinaus.

Damit würde die ohnehin schon prekäre Situation der Sozialhilfe- und EL-Beziehenden verschlechtert werden. Im Gegenzug würden bescheidene zusätzliche Steuereinnahmen generiert, die dem Grundsatz der Besteuerung nach der wirtschaftlichen Leistungsfähigkeit zuwider laufen. Vor dem Hintergrund einer in vielen Kantonen praktizierten sehr vorteilhaften Besteuerung der sehr hohen Einkommen eine groteske Situation. Der Staat nimmt den Ärmsten, damit sie noch weniger zum Leben haben. Gleichzeitig erleichtert er die Steuerlast der Reichsten, damit sie noch besser leben können.

Die Massnahme würde auch keinen Schub bei der Beschäftigung von unterstützten Personen auslösen. Die überwiegende Mehrheit der EL-Bezüger hat infolge ihres hohen Alters oder ihrer vollständigen Invalidität gar kein Erwerbspotential, und bei den Sozialhilfeempfängern braucht es in erster Linie Beschäftigungsmöglichkeiten, damit sie erwerbstätig werden.

Die Argumente sind glasklar und müssen auch dem Nationalrat einleuchten: Mit der Besteuerung von Unterstützungsleistungen ist nichts gewonnen, sondern viel verloren. Die Ärmsten in unserem Land wären hart getroffen.

Zuständig beim SGB

Daniel Lampart

Premier secrétaire et économiste en chef

031 377 01 16

daniel.lampart(at)sgb.ch
Daniel Lampart
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