„Sehr geehrter Herr Botschafter
Am 16. und 17.12. tagt der EU-Ministerrat. Deshalb hat der Europäische Gewerkschaftsbund (EGB) all seine Mitgliedsverbände dazu aufgerufen, zuvor einen zweiten europaweiten Protest- und Aktionstag zu organisieren. Auf der Tagesordnung dieses Gipfels stehen insbesondere die Überprüfung der schweren ökonomischen und monetären Probleme der EU und die Behandlung eines beunruhigenden Berichtes über die Beziehungen zwischen der EU und der Schweiz. Aus diesem Grund leisten der SGB und die ihm angeschlossenen Gewerkschaften diesem Appel Folge und organisieren eine Kundgebung symbolischen Charakters vor der EU-Botschaft in Bern, um
- gegen die erneute Infragestellung unseres Lohn- und Sozialschutzes durch die EU zu protestieren;
- die Forderungen unserer europäischen Kolleginnen und Kollegen nach einer Neuorientierung der Wirtschafts- und Sozialpolitik in der EU sowie in den einzelnen Mitgliedstaaten solidarisch zu unterstützen.
Für eine Schweiz ohne Lohndumping: flankierende Massnahmen zur Personenfreizügigkeit nicht aufweichen
Von Oktober 2008 bis Mai 2009 hat die Schweiz mit den betroffenen EU-Staaten über einen einfacheren Vollzug der flankierenden Massnahmen verhandelt. Beide Seiten willigten schliesslich in einen Kompromiss ein, der Verbesserungen bei der Information und Erleichterungen in der Umsetzung unseres Lohnschutzes vorsieht, ohne dass seine Schlüsselelemente in Frage gestellt würden. Doch trotz dieser Vereinbarung hat das EU-Parlament am 7. September 2010 erneut dieselben flankierenden Massnahmen scharf kritisiert (siehe IMCO-Bericht). Am 14. Dezember haben die EU-Aussenminister im Hinblick auf die Ministerratssitzung von 16./17. die Position des Europäischen Parlamentes weitgehend übernommen. Dass nun die EU-Behörden erneut Druck machen, ist für die Gewerkschaften ein Bruch von Treu und Glauben. Dem Lohnschutz der flankierenden Massnahmen steht ein neuer Angriff bevor.
Dabei geht es um Kernelemente des schweizerischen Schutzes vor Lohndumping. Zu erinnern ist auch daran, dass diese Massnahmen den Grundsatz der Gleichbehandlung von Einheimischen und Immigrierten respektieren.
In einer einstimmig verabschiedeten Resolution hat der SGB-Kongress vom 5./6.11.2010 deshalb gegenüber dem Bundesrat festgehalten: „Es gibt keinen Anlass zu irgendwelcher Konzession, die das System der flankierenden Massnahmen zur Personenfreizügigkeit schwächen würde. Unsere Unterstützung der Personenfreizügigkeit und einer Annäherung an die EU ist sehr eng an das bewährte Schutzdispositiv gegen Sozialdumping gebunden. Den EU-Behörden ihrerseits muss klar sein, dass jeder neue Angriff auf die flankierenden Massnahmen die EU in den Augen der hierzulande Arbeitenden – Schweizern wie Immigrierten – diskreditieren würde. Eine solche Attacke wäre Wasser auf die Mühle unserer populistischen antieuropäischen Rechten.“
Die Gewerkschaften haben der Öffnung des schweizerischen Arbeitsmarktes bisher unter der Bedingung zugestimmt, dass die Arbeitsbedingungen geschützt sind. Die Schweiz gehört zu den europäischen Ländern mit den höchsten Einkommensniveaus. Das macht das Land für ausländische Firmen und Arbeitskräfte sehr attraktiv. Wenn die flankierenden Massnahmen ausgehöhlt werden, ist dieser Schutz nicht mehr gewährleistet. Das ist weder im Interesse der Beschäftigten in der Schweiz, noch in demjenigen ihrer Kolleginnen und Kollegen aus der EU, umso mehr, als dass damit auch noch fremdenfeindliche Tendenzen geschürt werden. Der SGB fordert daher die Institutionen der EU auf, sich an die früheren Vereinbarungen mit der Schweiz zu halten.
In der Schweiz müssen Schweizer Löhne bezahlt werden. Das war bisher die Position der Schweizer Gewerkschaften und das wird sie auch bleiben.“