Es braucht mehr und nicht weniger Schutz!

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Verfasst durch Vania Alleva, SGB-Vizepräsidentin

Wie weiter mit der Personenfreizügigkeit?

Am 1. April traf sich Bundespräsident Gauck im Rahmen seines Staatsbesuchs auch mit den Wirtschaftsvertretern der Schweiz. Den SGB vertrat an diesem Treffen Vizepräsidentin Vania Alleva. Wir bringen ihre da gehaltene Intervention leicht gekürzt.

 

Man kann heute nicht über die Perspektiven der Schweizer Wirtschaft reden ohne das „Wie weiter?“ zur sogenannten „Masseneinwanderungsinitiative“ aufzuwerfen. Wenn es nicht gelingt, einen guten Ausweg aus der jetzigen Sackgasse in unseren Beziehungen zur EU zu finden, drohen schwerwiegende Folgen.

Drei gewerkschaftliche Grundsätze

Die Gewerkschaften haben sich rasch klar positioniert. Das gilt sowohl für die schon laufenden Gespräche zur Umsetzung der SVP-Initiative wie auch für die unausweichlich bevorstehenden Verhandlungen mit der EU. Dabei sind für uns drei Grundsätze zentral:

  1. Die Bilateralen Verträge mit der EU dürfen auf keinen Fall in Frage gestellt werden. Sie sind für geregelte Beziehungen mit der EU, für die Sicherheit der Arbeitsplätze und für die Zukunft der Schweizer Wirtschaft von sehr grosser Bedeutung. Die Sozialpartner sind sich in diesem Punkt einig. Das „Ja“ vom 9.2. war nicht ein „Nein“ zu den Bilateralen Verträgen, d.h. zu guten und geregelten Beziehungen mit unserem wichtigsten Partner.
  2. Das Prinzip der Nichtdiskriminierung muss auch in Zukunft bestehen bleiben. Es wird bei uns aktuell z.B. viel von der Wiedereinführung des menschenverachtenden Saisonnierstatuts geredet. Das kommt für uns nicht in Frage, und wir gehen davon aus, dass die EU dies auch nicht akzeptieren würde.
  3. Es braucht eine Stärkung und nicht eine Schwächung der Flankierenden Massnahmen zur Personenfreizügigkeit. Ein resolutes Vorgehen gegen Lohndumping ist im Interesse sowohl der Einheimischen wie der bei uns tätigen EU-Bürger. „Gleicher Lohn für gleiche Arbeit am gleichen Ort“: ohne Einhaltung dieses Prinzips geht es nicht. Ein wesentlicher Grund für das unglückliche Abstimmungsresultat ist mit den Sorgen rund um den Arbeitsplatz zu erklären. Die aufgedeckten Missbrauchsfälle, in denen entsandte Arbeitnehmende nur die Hälfte oder ein Drittel des geschuldeten Lohnes bekamen, verunsicherten die Arbeitnehmenden.

 Wie weiter?

 Zwei Optionen zeichnen sich in Bezug auf das weitere Vorgehen bei der Umsetzung der SVP-Initiative ab:

  • Eine Umsetzung 1 zu 1. Das würde eine frontale Konfrontation mit der EU bzw. den sicheren Tod der Bilateralen Verträge mit sich bringen;
  • Eine eurokompatible Umsetzung – soweit möglich.

Wir plädieren für die zweite Option. Deshalb erwarten wir vom Bundesrat, dass er sich für die Verhandlung einer Paketlösung mit der EU einsetzt, und wir hoffen sehr, dass die EU sich bereit erklärt, auf diesem Weg eine Lösung zu suchen. Das Ziel soll sein:

  • Sicherung der Bilateralen Verträge
  • Einvernehmliche Lösung in Bezug auf das PFZ-Abkommen
  • Akzeptable Vereinbarung zu den offenen institutionellen Fragen Schweiz-EU

 

EU muss Lohnschutz akzeptieren

Wenn das Volk in 2 oder 3 Jahren nicht mehr vor der Frage stehen wird: „Masseneinwanderung - Ja oder Nein?“, sondern „geregelte Beziehungen mit der EU - Ja oder Nein?“, dann sind wir zuversichtlich, dass der Entscheid positiv ausfallen wird. Allerdings brauchen wir ein gewisses Verständnis, eine gewisse Flexibilität seitens der EU und ihrer Mitgliedstaaten. Als Gewerkschaften erwarten wir von ihr und von Deutschland nicht die Zustimmung zu einem Kontingentierungssystem, das sowieso nur diskriminierend sein kann, und auch nicht zu permanenten Ausnahmen zum Prinzip der PFZ. Was wir unbedingt brauchen, ist aber ihre Bereitschaft, im Rahmen der Regelung der institutionellen Fragen unsere Flankierenden Massnahmen zum Schutz der Löhne zu akzeptieren. Denn diese sind nicht diskriminierend. Eine Schwächung, wie sie die EU schon einmal, 2008/09, mit Verweis auf Urteile des Europäischen Gerichtshofes (es ging damals u.a. um die 8-Tage-Regelung bei der Meldepflicht für Entsandte) gefordert hat, können wir auf keinen Fall akzeptieren. Ein solcher Schutzabbau wäre auch politisch nicht mehrheitsfähig.  

Wenn wir das Vertrauen der Arbeitnehmenden und des Volkes für eine Politik der Öffnung zurückgewinnen wollen, dann müssen wir Zusicherungen in Bezug auf den sozialen Schutz geben können. Mehr und nicht weniger Schutz ist der Ausweg. Wir brauchen dieses Verständnis seitens der EU uns gegenüber. Immerhin ist die EU-Behörde daran, eine Durchsetzungsrichtlinie zur Entsende-Problematik zu verabschieden, die den Mitgliedstaaten ermöglicht, wenn nötig zusätzliche nationale Schutzmassnahmen vorzusehen (sog. „offene Liste“). Wir gehören – mit einem Ausländeranteil von 23% und von gar 31% am gesamten Arbeitsvolumen – zu den Staaten, die solche zusätzliche Massnahmen benötigen, wohl verstanden auf einer Basis der Nicht-Diskriminierung.

Zuständig beim SGB

Luca Cirigliano

Zentralsekretär

031 377 01 17

luca.cirigliano(at)sgb.ch
Luca Cirigliano
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