Der Gewerbeverband greift tief in seine Schatullen, um die Mindestlohn-Initiative zu bekämpfen. Aus tiefster Schublade sind auch die Argumente dagegen entnommen. Beides vereint in einem Extrablatt der Gewerbezeitung, das dieser Tage in alle Haushalte der Schweiz flattert.
Fördert Armut statt Arbeit. Vernichtet Arbeitsplätze. Bricht den Berg- und Randregionen das Genick, der Berufsausbildung auch. Und dann müssen wir auswandern, um wieder Arbeit zu haben…
So bewertet die Gewerbezeitung in jedem Briefkasten der Nation die Mindestlohn-Initiative. Wenn man die aufgelisteten Klagen des Verbandes nur hören würde, man meinte, das Gewerbe in diesem Land sei arm, sehr arm. Blättert man dann aber die bunten Seiten durch, dann stellt man fest: das Gewerbe ist reich. An Geld zumindest, vom Geist sprechen wir nicht. Denn dazu schweigt die Zeitung in jeder Zeile: dass es hierzulande über 330‘000 Jobs gibt, in denen die Beschäftigten, hochgerechnet auf 100 %, weniger als 4000.- pro Monat verdienen.
Auffallend: Dem Verbandsdirektor Bigler, der mit der lockeren Behauptung, die meisten dieser Tieflohnverdienenden seien ja nur „Zweitverdienerinnen“, ins Offside gerannt ist, hat die Zeitung vorsorglich und mit sicherem Gespür für kontraproduktive Wirkung keine Stimme gegeben.
Die verleiht sie dafür dem Dieter Spiess. Sie raten richtig: Es ist der Gelterkinder Schuhhändler Spiess, der öffentlich erklärt, dass Gesamtarbeitsverträge eine DDR-Methode seien. Spiess hat erneut Verkündungsdrang. Er erklärt, nach einem Ja würde er sich „mehrmals überlegen, ob man als Arbeitgeber einen solch hohen Lohn für ein geringes Pensum ausgeben will.“ - Wen er dann anstellen will?
Dann bekommt eine Stimme der Malermeister Alfons P. Kaufmann. Der meint, dass viele Jugendliche nach Schulaustritt wegen dem horrenden Lohn von mindestens 4000.- Franken direkt zu arbeiten begännen – ohne Berufsausbildung. Und: viele von ihnen würden dann absichtlich arbeitslos und „können auch so gut leben.“ So würde der Nachwuchsmangel im Baugewerbe noch grösser. Lassen wir das einfach so stehen und erinnern den Malermeister nur daran, dass das Baugewerbe bereits heute klar mehr als 4000 zahlt – und dass wir keine 16-jährigen kennen, deren Sehnsucht es ist, möglichst rasch 4000.- und dann ein Leben lang knapp über 4000 zu verdienen.
Der nächste Streich folgt sogleich. Für Hannes Jaisli, stv. Dir. Gastro-Union, führt der neue Mindestlohn zu einem Beizensterben. Damit nicht genug: die überlebenden Betriebe müssten auch Stellen streichen und Mitarbeitende entlassen. – Hoppla: Da bleiben also nur ein paar wenige Beizen, gerammelt voll, aber die können sich keine Bedienung mehr leisten?!
Und so geht es weiter bis zur Prophezeiung, dass Teile der Industrie in der Waadt und in Genf wegen der unterschiedlichen Mindestlöhne ihre Produktion nach Frankreich auslagerten. Dann würden die Schweizer zu frontaliers und verdienten nur mehr 11.60 Franken die Stunde. – Wieso haben die denn jetzt noch nicht ausgelagert, wo doch die Lohnunterschiede auch beträchtlich sind?
Niemand verlangt vom Gewerbeverband im Abstimmungskampf differenziertes Auftreten. Dass die obersten Gewerbler aber so mit der Keule von Arbeitslosigkeit und Armut drohen, überrascht denn doch. Denn so nehmen sie die alte Leier auf, wonach jeder Fortschritt die Wirtschaft bedrohe und dann nur Arbeitslosigkeit und Armut produziere. Der Fortschritt aber ist gleichwohl gekommen, das Gewerbe ist geblieben. Und sein Verband auch…
Eines nur noch: in der letzten Zeit haben viele Betriebe, die zuvor noch dagegen gewettert haben, den Mindestlohn 4000 eingeführt: etwa Lidl, Bata, H&M. Die Erfahrung zeigt also: es geht. Der Gewerbeverband nimmt das nicht zur Kenntnis. Er will lieber die Schmutzkonkurrenz in den eigenen Reihen als die anständigen Unternehmer schützen. Aber auch das ist seine eigene Sache…