Nicht noch mehr Kostenbeteiligung im Gesundheitswesen

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Verfasst durch Reto Wyss

Grenze ist längst schon überschritten

Das vordringlichste Problem im Schweizer Gesundheitswesen ist die unsoziale Finanzierung. Dennoch wollen einige Unverbesserliche die private Kostenbeteiligung erhöhen.

Der Bundesrat hat soeben seine Botschaft zur Erfüllung der Motion Bischofberger zur automatischen Anpassung der Franchisen an die Kostenentwicklung in der Grundversicherung vorgestellt. Die bundesrätliche Botschaft ist für die Versicherten eine Hiobsbotschaft: Sie sollen in Zukunft für die medizinische Grundversorgung noch mehr aus der eigenen Tasche bezahlen müssen. Und dies obwohl die Kostenbeteiligung in der Schweiz mit 27% im OECD-Vergleich heute bereits rekordverdächtig hoch ist. In Deutschland müssen die Versicherten 13% und in Frankreich 7% direkt selbst bezahlen. In diesen Zahlen nicht berücksichtigt sind die für breite Bevölkerungsschichten ebenfalls schon längst nicht mehr tragbaren Auswirkungen des (in Europa ebenfalls einzigartigen) Kopfprämiensystems.

Automatische Anpassung der Franchisen

Konkret schlägt die Vorlage vor, die Franchisen (heute zwischen 300 und 2500 Franken) künftig automatisch an die Entwicklung der Gesundheitsausgaben anzupassen. Damit soll die "Kostenwahrheit" erhöht und die "Selbstverantwortung" der Versicherten gestärkt werden. Die Krankenkassen und die bürgerlichen Parteien (die in den Verwaltungsräten dieser Kassen hocken) scheinen sich einig zu sein: Wem es gesundheitlich nicht gut geht, d.h. wer oft in ärztliche Behandlung gehen muss und deshalb eine tiefe Franchise wählt, der/die generiert unnötig Kosten und handelt unverantwortlich. Letztendlich läuft diese Haltung auf die Zerschlagung der solidarischen Grundversicherung hinaus. Krankenpflege soll zu einem Gut wie jedes andere werden: Wer etwas davon will, der/die kauft sich etwas.

Verzicht kann auch gefährlich sein

Mit dieser Gesetzesanpassung wird suggeriert, dass die Leute heute wegen jedem "Wehwehchen" zum Arzt rennen, wovon sie demnach eine noch höhere Kostenbeteiligung zu Recht abhalten würde. Das Gegenteil ist der Fall! In der Schweiz verzichten laut OECD jährlich bereits über 20% der Bevölkerung aus finanziellen Gründen auf medizinische Behandlungen. Dabei geht es längst nicht mehr nur um Bagatellfälle, sondern immer mehr um gefährlichen Leistungsverzicht mit hohen Folgekosten. Eine automatisierte Erhöhung der Franchisen verschärft dieses Problem zusätzlich; der freie Zugang zur medizinischen Grundversorgung würde ebenso automatisch verringert.

Bei Anreizstrukturen stumm

Wenn etwas unnötige Überversorgung generiert, dann sind es nicht die Versicherten, sondern falsche Anreizstrukturen im komplizierten Gesundheitswesen. Anstatt sich genau darum zu kümmern, wollen Bischofberger & Co. einen Automatismus zur Kostenabwälzung ins Gesetz schreiben und stehlen sich damit aus jeglicher Verantwortung. Dabei liegen unzählige, sofort umsetzbare Massnahmen zur wirksamen Kostendämpfung auf dem Tisch: Verhinderung missbräuchlicher Zusatzversicherungstarife, breitere Verlagerung von Behandlungen in den ambulanten Bereich, Einführung eines Referenzpreissystems für tiefere Medikamentenpreise, Stärkung der Rechnungskontrolle usw. Die Liste wirksamer Massnahmen, mit denen weder auf dem Buckel der Versicherten, noch zu Lasten des Pflegepersonals gespart wird, ist lang. Nun müssen sie endlich umgesetzt werden.

Zuständig beim SGB

Reto Wyss

Zentralsekretär

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Reto Wyss
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