Weiterbildungsgesetz: Ein Entwurf mit eklatanten Mängeln

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Artikel
Verfasst durch Véronique Polito, Zentralsekretärin des SGB

Letzten November endlich eröffnete der Bundesrat die Vernehmlassung für ein neues Weiterbildungsgesetz. Dennoch war die Begeisterung der Gewerkschaften begrenzt. Denn die Vorlage ist zu wenig in die Zukunft gerichtet, berücksichtigt die Bedürfnisse von Gesellschaft und Arbeitswelt zu wenig; sie gleicht eher einer technisch-bürokratischen Übung mit zweifelhafter Wirkung.

Im Jahr 2006 hatte die Bevölkerung mit grosser Mehrheit einen neuen Verfassungsartikel zur Weiterbildung gutgeheissen. Dadurch erteilte sie dem Bundesrat den Auftrag, ein Weiterbildungsgesetz zu erarbeiten. Erst im Februar 2010 beauftragte der Bundesrat eine Expertenkommission, ein Rahmengesetz auszuarbeiten, «das die Eigenverantwortung für das lebenslange Lernen stärkt, die Chancengleichheit beim Zugang zur Weiterbildung verbessert und die Kohärenz in der Bundesgesetzgebung sicherstellt»[1]. Der Inhalt des Auftrags sowie die Zusammensetzung der Expertenkommissionen stiess beim Schweizerischen Gewerkschaftsbund (SGB) sofort auf grosse Skepsis. Einerseits war das anvisierte «Grundsatzgesetz ohne Fördertatbestand» ein klares Anzeichen für einen fehlenden Willen des Bundes, finanzielle Mittel für die Weiterbildung bereitzustellen. Andererseits zeigten das Mandat sowie die Auswahl der Expertinnen und Experten aus der Verwaltung und der Wissenschaft, dass der Hauptfokus der Vorlage weder auf Weiterbildung als gesellschaftlicher Aufgabe lag noch sich an den Bedürfnissen der Menschen orientierte, die sich weiterbilden. Stattdessen lag der Schwerpunkt darauf, einen Rahmen für die vom Bund bereits existierenden Massnahmen (zum Beispiel im Bereich der Arbeitslosenversicherung) festzuschreiben. Hingegen wurden die Bedürfnisse der Arbeitnehmenden, die zum grössten Teil die Weiterbildung finanzieren ¬ zusammen mit der Beteiligung der Arbeitgeber macht dies etwa fünf Milliarden Franken pro Jahr aus – kaum berücksichtigt.

Der Berg hat eine Maus geboren

Der lange Prozess führte zum heutigen vorliegenden schlanken Entwurf[2]. Der Text legt fünf Grundsätze fest: die «individuelle Verantwortung», die «Qualitätssicherung», die «Anrechnung von Weiterbildung an die formale Bildung», die «Chancengleichheit» und den «Wettbewerb». Die Grundsätze ändern eigentlich nicht viel an der aktuellen Situation, umso mehr da sie nicht gleichzeitig mit verbindlichen Massnahmen auf Bundes- oder kantonaler Ebene verbunden werden. Die Vorlage legt viel Wert auf die individuelle Verantwortung, aber die konkreten Anreize bleiben aus. Man kann sich dann zu Recht fragen, wie das Gesetz seinen Zweck – die Stärkung des lebenslangen Lernens – denn wirklich erreichen soll.

Der Gesetzesentwurf verbirgt sogar erhebliche Gefahren. Die Einführung des Wettbewerbsprinzips ist zum Beispiel nicht Teil der Lösung sondern Teil des Problems. Die öffentlich und staatlich unterstützten Anbieter müssten zwingend ihre Angebote zu «Marktpreisen» offerieren, wenn diese nicht explizit gesetzlich geregelt sind. Es wird dabei nicht auf die Qualität und Spezifizität des Angebotes Rücksicht genommen… sowie auch nicht auf die Arbeitsbedingungen und Löhne! Ob das die Zugänglichkeit und Qualität der Weiterbildung fördert, ist durchaus fragwürdig.

Weiterbildung als kollektives Gut

Ein Umdenken ist dringend nötig. Ein Gesetz, das massgebend auf die individuelle Verantwortung und die Regulierung über den Markt setzt, hat eher den Geschmack einer Alibiübung. Die Aufwertung des Weiterbildungsbereichs innerhalb der Bildungslandschaft kann nur geschehen, wenn Gesellschaft und Staat zusammen Verantwortung übernehmen. Grundsätzlich befürwortet der SGB die Schaffung eines Weiterbildungsgesetzes. Er verlangt aber, dass die Weiterbildung nicht nur – wie im derzeitigen Entwurf – in der Verantwortung der Einzelnen bleibt: Arbeitgeber und Staat müssen auch noch in die Pflicht genommen werden! Für Arbeitnehmende soll endlich ein Recht auf Weiterbildung gesetzlich verankert werden. Das kann über die Einführung eines bezahlten Bildungsurlaubs von mindestens einer Woche geschehen. Es braucht aber auch gezielte Massnahmen, um den Zugang zur Weiterbildung allgemein zu vereinfachen: Information und Beratung wären ein wichtiger Beitrag der Kantone. Sie verfügen bereits mit den Laufbahnberatungsstellen über die nötigen Strukturen. Nur sollten jetzt deren Leistungen auch für Erwachsene angepasst und zu günstigen Bedingungen zugänglich gemacht werden. Die Förderung des Erwerbs und Erhalts von Grundkompetenzen[3] bei Erwachsenen, die im aktuellen Gesetzentwurf berücksichtigt wurde, wird vom SGB ebenfalls stark befürwortet. Leider sieht das Gesetz keine zusätzliche Mittel für diesen Zweck vor! Erst wenn angemessene finanzielle Mittel sowie alle anderen erwähnten Aspekte im neuen Gesetz berücksichtigt werden, könnte man das Gesetz als einen klaren Fortschritt betrachten.


[1] Medienmitteilung des BBT vom 25 Februar 2010

[2] www.news.admin.ch/message/index.html

[3] Nach dem aktuellen Gesetzentwurf sind Grundkompetenzen grundlegende Kenntnisse im Bereich Lesen und Schreiben, Alltagsmathematik; Anwendung von Information- und Kommunikationstechnologien, sowie Grundkenntnisse von Rechten und Pflichten.

Zuständig beim SGB

Nicole Cornu

Zentralsekretärin

031 377 01 23

nicole.cornu(at)sgb.ch
Nicole Cornu
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