In den letzten zwei Jahren haben die höchsten Löhne den Lift genommen, die tiefsten Löhne dagegen sind dramatisch gesunken. Letzteres hätte ein gesetzlicher Mindestlohn verhindert. Opfer dieser liberalen Lohnpolitik sind vor allem die Frauen. Noch nie waren sie so gut gebildet, aber man verweigert ihnen auch bei abgeschlossener Lehre ein würdiges Salär. Erstaunt das in einem Land, in dem Minister Frauen mit Gebrauchsgegenständen aus der Küche vergleichen?
Wenn dir der Wind rau entgegenbläst, erkennst du die echten Freunde. Das zeigt auch die Mindestlohnabstimmung. Im vorherrschenden Diskurs gilt der Mindestlohn als Gefahr für die Schweiz. Lohnschutz nütze nichts. Besser sei es, als ausgebeutete Verkäuferin ein Taschengeld zu verdienen und damit eine zusätzliche Woche Familienferien zu ermöglichen als arbeitslos zu sein – und nur mehr zu den älteren Gebrauchsgegenständen in der Küche zu zählen.
Denn schliesslich gibt es für den Bevölkerungsschutz den Gripen. Er darf den schwedischen Fabriken entfliegen, um uns, die Schweizer Frauen, zu beschützen, wenn wir Kleider verkaufen oder die Alten in den Heimen pflegen. Mit so investierten Milliarden gedeiht das Land – und nicht mit 0,5 % mehr an Salärmasse, mit der man die Lohnmisere auslöschen könnte.
Im Reich des Absurden
Und nun verkündet uns das Bundesamt für Statistik (BFS), dass die tiefsten Löhne um 300 Franken gesunken und die höchsten um 10‘000 Franken gestiegen sind. Der natürliche Gang der Dinge? Dem vorherrschenden Diskurs zufolge sollten die qualifizierten Verkäuferinnen von TallyWeijl eigentlich für das Privileg, für Tally Elfassi-Weijl und Beat Gruring, die Eigentümer des Unternehmens, die zu den reichsten 300 Menschen der Schweiz gehören, zu arbeiten – zahlen!
Aha, hören wir, die TallyWeijl-Verkäuferinnen seien nicht produktiv. Und deshalb ihr tiefer Lohn. Aber woher dann Weijl und Gruring riesiges Vermögen? Ist es ihnen aus dem Himmel zugeflogen? Mit ein paar Gripen zusammen? Seid’s mal zufrieden, rufen uns die zu, die ihre Nase stets nach dem Wind richten: Wenn die TallyWeijl-Verkäuferinnen in der Schweiz 4000 Franken verdienen sollten, dann würden die Läden ins Ausland ausgelagert. Worauf wir, schüchtern: Um was wem zu verkaufen?
Das Ende der Lehre
Die allerfrechste Behauptung der Mindestlohngegner aber gilt zweifelsohne der Lehre. Sie werde stark verlieren, die Jungen würden vom schnellen Geld verführt. Ach ja? Welcher Patron stellt denn einen Jugendlichen für 4000.- ein, wenn er ihn als Lehrling auch für 400.- haben kann? – Muss man eine Arbeitgeber-Organisation sein, um zu wagen, die eigenen Mitglieder so dumm darzustellen?
Wenn die Mindestlöhne für die Lehre so gefährlich wären, dann wäre sie seit langem tot. Denn fast alle Sektoren im Gewerbe und im Bau sowie Teile der Industrie kennen seit vielen Jahren Mindestlöhne. Und trotzdem floriert die Lehre. Was auch nicht erstaunt. Denn noch nie haben die Jugendlichen so viel wie heute in ihre Ausbildung investiert…
Frauen zahlen die Zeche
Die Statistiken des BFS zeigen: Es sind hauptsächlich die Frauen, die das Fehlen eines gesetzlichen Mindestlohnes bezahlen. Das nicht, weil sie in schwach produktiven Branchen arbeiten, sondern weil sie weniger häufig durch Gesamtarbeitsverträge geschützt sind. Das nicht, weil sie weniger ausgebildet wären, sondern weil ein Lehrabschluss in Verkauf, Coiffure, Gesundheit und Soziales wenig „Lohnwert“ entwickelt. Das ist fortgeschrittene Diskriminierung, banalisiert und toleriert…
Aber selbst die frühere Chefin des Bundesamtes für Berufsbildung, die sich während Jahren für die Besserstellung der Frauen in der Berufsbildung eingesetzt hat, vollbringt nun eine Wende und marschiert mit denen, die den Wind im Rücken spüren. In der Sonntagspresse erklärte sie kürzlich den Mindestlohn als fatal für die Lehre. Vergessen hat sie dabei, dass es sich hierbei um das einzig effiziente Mittel des Lohnschutzes für Frauen handelt, die heute noch eine Lehre absolvieren wollen. Es verhält sich also gerade umgekehrt: wer Frauen die Lehren offen halten will, der macht diese dann attraktiv, wenn danach auch ein korrekter Lohn winkt. Das Minimum vom Minimum sind dabei 4000 Franken.