Musikalische Ausbildung soll allen Kindern jenseits von Schicht und Einkommen zugänglich sein. Das ist für den SGB der erste Grund, den neuen Verfassungsartikel zu bejahen. Der zweite Grund: dem schleichenden Abbau des Musikunterrichts in der Volksschule muss entgegengewirkt werden.
Wenn wir am 23. September aufgerufen sind, über den „Bundesbeschluss über die Jugendmusikförderung“ abzustimmen, geht es keineswegs um ein Luxusanliegen. Der Bundesbeschluss ist der Gegenentwurf zur zurückgezogenen Volksinitiative „Jugend und Musik“. Er übernimmt die Anliegen der Initianten weitgehend und wird daher von ihnen nun auch unterstützt.
Fachkräftemangel in Volksschule immer deutlicher
Die Initiative wurde einst gestartet aus Besorgnis über den Zustand der Schulmusik. Hier geschieht nämlich ein von der Öffentlichkeit kaum wahrgenommener Abbau des Service public: Seit der Abschaffung des Lehrer/innen-Seminars, in welchem angehende Lehrkräfte in allen Fächern ausgebildet wurden, können die heutigen Studierenden der pädagogischen Hochschulen diverse „Profile“ aus- und Fächer abwählen. In einer Zeit, in der Wissensfächer von der Gesellschaft als weit wichtiger eingestuft werden (Stichworte Leistungstests und Schulrankings) als nicht-selektionsrelevante Fächer wie zum Beispiel Musik und Gestalten, wählen viele Studierende diese Fächer in ihrer Ausbildung ab. Schon heute stellen wir einen Fachkräftemangel im Bereich der volksschulischen Musikausbildung fest – nicht auszudenken, was geschieht, wenn in den nächsten Jahren die Lehrkräfte in Pension gehen, die noch als Generalisten ausgebildet wurden. Der Unterricht wird in der Folge von nicht ausgebildeten Lehrpersonen erteilt werden oder ausfallen.
„Wir-Gefühl“ ermöglichen
Die Schulmusiker/innen selber (diejenigen, die das Fach hochmotiviert unterrichten!) sind skeptisch, ob die Schulreformen HARMOS oder Lehrplan 21 in der Lage sind, die Probleme zu lösen: Grund genug, Gegensteuer zu geben. Aber auch aus pädagogischer Sicht ist Gegensteuer verlangt. Denn Fächer wie Musik und Sport bieten wichtige anderweitige Erfahrungen und stellen oft gerade für lernschwächere Kinder die Möglichkeit einer Bestätigung dar. Aktiv zusammen Musik zu machen hat zudem eine hohe integrative Wirkung: In unseren gemischtnationalen Klassen wäre es nötiger denn je, den Kindern ein kulturelles „Wir-Gefühl“ zu vermitteln, wenn unsere Gesellschaft von morgen funktionieren und eine Ghettoisierung der Kulturen vermieden werden soll.
Keine Einkommensbarrieren
Ein anderer Teil des Bundesbeschlusses betrifft die Musikschulen: Hier gälte es, flächendeckend dafür zu sorgen, dass auch Kinder aus einkommensschwächeren Schichten die Möglichkeit hätten, ausserschulischen Musikunterricht zu besuchen. Einige Gemeinden haben hier vorbildliche Stipendiensysteme (nach Steuerkraft der Eltern), an anderen Orten entscheidet ausschliesslich das Portemonnaie. Es entscheidet heute also recht häufig der reine Zufall, wie viel musikalisches Erleben einem Kind ermöglicht wird.
Ein Klavier lebt länger
Da die entscheidenden Massnahmen bei Annahme des Bundesbeschlusses auf Gesetzesebene erlassen werden müssen, kann man die Kosten heute nicht beziffern. Die Initianten sind aber keine Phantasten: Ein Überdenken der Ausbildung an den Pädagogischen Hochschulen kostet keine Unsummen (es geht letztlich darum zu sorgen, dass genügend Personal ausgebildet wird). Musikunterricht in der Volksschule ist eine recht „billige“ Sache und braucht keine teuren Spezialarbeitsplätze – selbst ein Klavier hat eine längere Lebensdauer als ein Computer.
Die Musikpädagogik hat sich in den letzten Jahrzehnten enorm entwickelt – nutzen wir sie!
Bild: CC BY 2.0 - www.flickr.com/photos/ed_welker/4275272769/