Ein Gesetz, das mehr Fragen aufwirft als beantwortet

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Artikel
Verfasst durch Véronique Polito

Neues Weiterbildungsgesetz

In der nationalrätlichen Debatte zum Weiterbildungsgesetz werden insbesondere die Verantwortung des Arbeitgebers und die verschiedenen Modelle eines Bildungsurlaubes umstritten sein. Trotz Anstrengungen und einiger Lichtpunkte: das Gesetz ist angesichts der Probleme, die Unternehmen haben, wenn sie qualifiziertes Personal suchen, vor allem eines: ambitions- und visionslos.

Der rasche Wandel des Arbeitsmarktes verlangt heute von den Menschen enorme Anpassungs-fähigkeiten und eine permanente Entwicklung ihrer Kompetenzen. Ein neues Gesetz über die Weiterbildung – müsste man folgern – hätte sich somit die Mittel zu geben, um allen Zugang zu Weiterbildung zu ermöglichen und die wichtigsten Mängel des heutigen Systems zu beseitigen. Der SGB sieht die zwei bedeutendsten Barrieren in den sozialen Disparitäten und in der zeitlichen Beanspruchung.

Soziale Unterschiede nehmen zu

Beim Thema Weiterbildung mangelt es an Forschung und gesicherten Daten. In einem Punkt jedoch stimmen die Beobachtungen der Forscher überein: Der Zugang zu Weiterbildung hängt vom Ausbildungsstand und vom Einkommen ab. Je höher beide liegen, desto höher auch die Anstrengungen für Weiterbildung. Weiterbildung trägt also dazu bei, die sozialen Unterschiede zwischen hoch und wenig Qualifizierten zu verstärken statt sie einzuebnen. Bereits gut Ausgebil-dete werden noch besser ausgebildet. Menschen ohne postobligatorische Ausbildung hingegen bleiben in der Tendenz ein Leben lang bildungsfern.

Zeitdilemma

Die doppelte oder gar dreifache Last, die Beruf, Bildung und familiäre Pflichten zusammen bilden, ist ein Hindernis zu Weiterbildung. Die letzten statistischen Erhebungen des BFS (Mikrozensus Aus- und Weiterbildung vom 24.6.2013) zeigen auf, dass neben der finanziellen Last (15 %) der Zeitmangel (33 %) und die familiäre Verantwortung (16 %) die wichtigsten Weiterbildungs-hindernisse sind. Eine Studie über die Kandidaten der Berufsprüfungen, die zuvor die entspre-chenden Vorbereitungskurse absolviert haben (econcept 2011), weist ebenso auf die Bedeutung dieses Problems hin.

Nicht auf der Höhe der Anforderungen

Weder die eine noch die andere Barriere sind im neuen Gesetz berücksichtigt. Das Phänomen der sozialen Unterschiede wurde weitgehend ausgeblendet. Der Bundesrat spricht sich vielmehr für mehr Konkurrenz „in einem funktionierenden Markt“ aus. Die Fragen zeitlicher Belastbarkeit und der Vereinbarkeit wurden nie gebührend analysiert – und damit natürlich ebenso wenig mögliche Antworten darauf. Die Option auf einen Bildungsurlaub etwa wurde mit wackligen Argumenten weggewischt. In der Plenumsdiskussion wird der Bildungsurlaub wieder Thema sein. Die diversen Modelle dürften allerdings kaum eine Mehrheit finden. Dasselbe gilt für zahlreiche Anträge der Kommission, die Rolle und soziale Verantwortung des Arbeitgebers stärken wollen.

Förderung von Grundkompetenzen in Nachholbildung

Einen Hoffnungsschimmer gibt es bei der Förderung von Grundkompetenzen. Diese Bestimmung wurde ins Gesetz geschrieben und von der vorberatenden Kommission breit unterstützt. Das ist ein Fortschritt, da bis vor kurzem nur im spezialisierten Milieu ein solcher Bedarf anerkannt war. Mängel in elementarer Mathematik, bei Lesen, Schreiben, mündlichem Ausdruck (in einer Landessprache) und in Informatik sind indessen stark verbreitet und können unüberwindbare Hürden zur Weiterbildung darstellen. Dass nicht weitere Mittel gesprochen wurden, um ergänzende Angebote in diesem Bereich zu schaffen, kann man deshalb nur bedauern.

Kurzsichtige Hoffnung auf hochqualifizierte Immigration

Das Weiterbildungsgesetz setzt den Grundsatz der „individuellen Verantwortung“. Mit andern Worten: das „Laisser-faire“ des reinen Marktes. Der Druck auf die Arbeitenden steigt jedoch ständig, unabhängig der Qualifikationshöhe. In einer solchen Lage den Arbeitnehmenden allein die Verantwortung zu einer Weiterbildung zu übertragen, die Voraussetzung weiterer Beschäftigung ist, bedeutet, diese noch mehr in die Enge zu treiben. Zahlreiche Unternehmen aus dem privaten wie dem öffentlichen Sektor (etwa dem Gesundheitswesen) rekrutieren Personal und Kader heute im Ausland und begegnen so dem „Fachkräftemangel“. Da drängt sich schon die Frage auf, warum es am politischen Willen mangelt, die bereits hier anwesenden Menschen weiter zu bilden. Es gibt hierzulande Potential. Nur muss man das auch sehen wollen. Einige Parteien wären denn auch mehr inspiriert, Bildung und Vereinbarkeit zu fördern statt die Frauen an den Herd zurück-schicken zu wollen…

 

Zuständig beim SGB

Nicole Cornu

Zentralsekretärin

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nicole.cornu(at)sgb.ch
Nicole Cornu
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