Die Lehrstellenkonferenz vom 23. November 2013 wird vor allem den Wandel des Arbeitsmarktes diskutieren. Der SGB wird dabei Handeln auf zwei Ebenen verlangen: Zum einen sind mehr Berufsmatura-Abschlüsse verlangt, zum anderen sind Jugendlichen ohne Ausbildung Nachholbildungen zu ermöglichen.
Für die Lehrstellenkonferenz vom 23.11. sind die beiden Themen „Desindustrialisierung“ und struktureller Wandel programmiert. Seit kurzem jedoch erhitzt eine Debatte über den richtigen Anteil der Matura die Bildungsgemüter. Auf der einen Seite plädiert der künftige Bildungsminister Schneider-Ammann für weniger gymnasiale Matura-Abschlüsse, zu fördern sei vielmehr die auf die „Praxis“ zugeschnittene Berufsbildung. Auf der andern Seite sprechen sich die Propheten der künftigen Dienstleistungsgesellschaft für mehr Universitätsabgänger/innen aus. Absolut gesetzt führten beide Ansichten zum bildungspolitischen Crash.
Die Schweiz an der Spitze der industrialisierten Nationen
In den 90er Jahren führten die restriktive Geldpolitik der Nationalbank und der starke Franken zu einem Stellenabbau in der Schweizer Industrie. Damals wurde das Schlagwort der „Desindustrialisierung“ kreiert. Und heute? Heute hat die Wirklichkeit die Prognosen als falsch entlarvt. Die Schweiz ist heute eines der am höchsten industrialisierten Länder der Welt. Der Anteil der Industrie am Bruttoinlandprodukt (BIP) ist mit jenem von Deutschland und Japan vergleichbar. Misst man die industrielle Produktion an der Einwohnerzahl, dann führt die Schweiz die entsprechende internationale Rangliste an.
Trotz aktuell ungünstigen Rahmenbedingungen für die Industrie: Von einer „Desindustrialisierung“ in der Schweiz kann man also heute nicht sprechen. Wenn die Nationalbank und der Bund den starken Franken und seine Auswirkungen effizienter bekämpfen, dann wird die Industrie auch weiterhin eine gute Zukunft in diesem Lande haben. Im Moment bieten denn auch die technischen Branchen generös Lehrstellen an. Gerade diese Betriebe hatten in jüngster Vergangenheit häufig Schwierigkeiten, ausreichend qualifiziertes Personal zu finden, sowohl auf Ebene der Berufsbildungsabschlüsse wie einer tertiären Ausbildung.
Tertiarisierung der Qualifikationen
Desindustrialisierung findet also nicht statt. Hingegen ist eine Tertiarisierung des Arbeitsmarktes festzustellen. Dabei geht es nicht um eine Verlagerung der Beschäftigung vom industriellen in den Dienstleistungssektor. Die Verschiebung der Stellen erfolgt vielmehr von „unten“ nach „oben“. Stellen mit hohen Anforderungen haben in den letzten 20 Jahren um 60 % zugenommen. Stellen mit wenig Anforderungen haben im gleichen Zeitraum um 25 % abgenommen. Die Stellen mit mittleren Anforderungen sind relativ stabil geblieben.
Der Bund hat diese Entwicklung nicht verschlafen. Seit den 90er Jahren hat er tiefgreifende Reformen ergriffen. Herzstück davon waren der Aufbau der Fachhochschulen und der Berufsmatura als Vorbereitungsweg dazu. So wurde Jugendlichen in der Berufsbildung ein Übergang zu höheren Studien ermöglicht.
Erstaunlich an der Diskussion über den richtigen Anteil der Matura ist der Fakt, dass die Berufsmatura ausgeblendet wird. Es scheint, dass niemand, auch der zuständige Bundesrat nicht, zur Kenntnis nehmen will, dass die gymnasiale Matura nur 60 % aller entsprechenden Abschlüsse darstellt. 40 % aller „Reife-Abschlüsse“ werden in der Berufsbildung erworben.
Mehr Matura-Abschlüsse sind nötig
Aufgrund dieser Fakten ist die Matura-Diskussion neu aufzurollen. Denn während die gymnasiale Matura weiterhin schwach zunimmt, stagniert die Berufsmatura seit 2005 bei 12 % eines Jahrgangs. Im Jahr 2001 absolvierten zudem 70 % aller Jugendlichen ihre Berufsmatura lehrbegleitend. 2010 waren es nur mehr 56 %.
Wenn der Arbeitsmarkt bessere Qualifikationen verlangt, dann ist die Debatte „weniger Gymnasium versus mehr Berufsbildung“ wohl falsch gelagert. Im Gegenteil: es sind mehr Matura-Abschlüsse verlangt. Dabei aber ist die Berufsmatura besonders zu fördern, vor allem in lehrbegleitender Form. Dies würde die Attraktivität der Berufsbildung gegenüber der gymnasialen Ausbildung für schulstarke Jugendliche wesentlich fördern.
Jugendliche ohne Qualifikationen – jetzt handeln
Die höheren Anforderungen auf dem Arbeitsmarkt haben auch ihre Kehrseite. Jugendliche ohne einen postobligatorischen Abschluss können sich kaum mehr beruflich eingliedern. Trotz den Massnahmen in den letzten Jahren bleibt die Quote der Jugendlichen ohne nachobligatorische Ausbildung bei 10%. Deshalb müssen Bund, Kantone und Sozialpartner ihre Anstrengungen vereinen, um allen Jugendlichen einen solchen Abschluss zu ermöglichen. Wichtig dabei ist eine Offensive für das Angebot einer Nachholbildung, die extra auf junge Erwachsene ohne Ausbildung zugeschnitten ist.