Zum Schutz der Vereinigungsfreiheit braucht es die Klage

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Artikel
Verfasst durch Luca Cirigliano, SGB-Zentralsekretär

Raifiziertes internationales Recht gilt auch für Arbeitgeber und Bundesrat

Die Internationale Arbeitsorganisation (IAO oder engl. ILO) in Genf, eine der ältesten und in ihrer sozialen Tragweite wohl eine der wichtigsten Agenturen der Vereinten Nationen hat die Schweiz bereits mehr als einmal zum Handeln aufgefordert. Denn eines wurde von der ILO wiederholt festgehalten: Die Sanktionen des Obligationenrechts (Art. 336a) bei missbräuchlicher Kündigung aus antigewerkschaftlichen Gründen sind zu wenig abschreckend, zu wenig spezifisch und eine Wiedereinstellung ist nicht vorgesehen – im Gegensatz etwa bei missbräuchlicher Kündigung wegen Geschlechterdiskriminierung, wo die Wiedereinstellung gemäss Gleichstellungsgesetz möglich ist.

Zur Erinnerung eine kurze Chronologie des bisher Geschehen. Der SGB hat am 14. Mai 2003 bei der ILO eine Klage eingereicht – eine absolute Premiere! Dies, weil das Schweizer Arbeitsrecht gewählte Personalvertreterinnen oder Gewerkschaftsvertreterinnen und Vertreter zu wenig gegen missbräuchliche Kündigungen schützt. Dabei hat die Schweiz sowohl das ILO-Abkommen Nr. 87 über die Vereinigungsfreiheit und den Schutz des Vereinigungsrechts als auch das ILO-Abkommen Nr. 98 über das Vereinigungsrecht und die Kollektivverhandlungen ratifiziert. Bei diesen zwei ILO-Übereinkommen handelt es sich, wie wir bereits gehört haben, nicht um irgendwelche Übereinkommen, sondern um Teile der sogenannten „Core Conventions“ (Kernarbeitsnormen), also zwingendem Völkerrecht im Bereich der Grundfreiheiten. Im Übrigen werden die Gewerkschaftsfreiheit und deren Ausübung, wie immer wieder zu erinnern ist, auch explizit von unserer Bundesverfassung in Art. 28 garantiert.

Der SGB verlangte in der Klage, welche die unbefriedigende rechtliche Situation mit zahlreichen Einzelbeispielen von missbräuchlich entlassenen Personen illustrierte, dass Kündigungen an Gewerkschaftsvertretern annulliert werden müssen und nicht bloss mit bis zu höchstens sechs (in der Praxis: meist bis zu drei) Monatslöhnen abgegolten werden dürfen. Denn so können sich Unternehmen regelrecht „freikaufen“ – ein kleiner Beitrag aus der Portokasse und schon ist man allzu unbequeme Mitglieder von Personalkommissionen los. Das ist ein klarer Rechtsbruch, der jedoch ohne spürbare Konsequenzen für die Arbeitgeber bleibt.

Bereits 2004 hiess ein ILO-Ausschuss die Klage gut und forderte die Schweiz auf, ihre Gesetzgebung den entsprechenden internationalen Normen anzupassen. Der Bundesrat weigerte sich

 

aber, Änderungen vorzunehmen, dies mit dem Verweis auf die Haltung der Arbeitgeber, die keinen Handlungsbedarf sehen wollen. 2006 legte der SGB der ILO erneut eine entsprechende Liste von missbräuchlich entlassenen Gewerkschaftsvertretern vor, worauf der zuständige ILO-Ausschuss die Schweiz erneut zu einer gesetzgeberischen Anpassung aufrief – und anregte, sich am Gleichstellungsgesetz zu orientieren, welches eben eine Wiedereinstellung bei festgestellter missbräuchlicher Kündigung vorsieht.

Passiert ist in der Zwischenzeit wenig bis nichts. Vom Seco und Bundesamt für Justiz wurden zwar mehrere Anläufe für eine Teilrevision des Obligationenrechts unternommen. Diese sind jedoch bisher immer versandet: So die Revisionsvorlage vom 5. Dezember 2008; diejenige vom
16. Dezember 2009; sowie der letzte Vorentwurf zu einer Teilrevision des Obligationenrechts, welcher am 1. Oktober 2010 in die Vernehmlassung gegeben wurde. Sogar dieses letzte bescheidene Reformvorhaben (Erhöhung der maximal (!) möglichen Entschädigung bei missbräuchlicher Kündigung auf 12 Monatslöhne; Möglichkeit für die Sozialpartner, in Gesamtarbeitsverträgen einen besseren Schutz auszuhandeln) wurde von den Arbeitgeberverbänden schlechtgeredet und liegt seitdem in einer Schublade. Nicht einmal die Resultate der Vernehmlassung, die immerhin am 14. Januar 2011 beendet wurde, hat der Bundesrat präsentiert. Eine inakzeptable Situation.

Deshalb sah sich der SGB-Vorstand nach all den abgewarteten Jahren dazu gezwungen, die Klage vor der ILO mit einer Eingabe am 19. September 2012 zu reaktivieren. Darin werden die Untätigkeit des Bundesrates, der Widerstand der Arbeitgeber, auch kleinste Verbesserungen im Kündigungsschutz mitzutragen sowie neue Fälle aus der Praxis beschrieben. Und der SGB fordert darin, dass die ILO die Renitenz der Schweizer Behörden konstatiert, einen festgestellten, gravierenden Missstand in der Umsetzung der Grundrechte aufzuheben. Dieser chronische Rechtsbruch der Schweiz gegenüber eigenem Verfassungsrecht und ratifiziertem Völkerrecht wird voraussichtlich zu einer weiteren, nun definitiven Verurteilung durch ein Gremium der Vereinten Nationen führen und die Schweiz an den gleichen Pranger stellen wie z.B. Iran, China oder Weissrussland, wenn es um den Schutz der Gewerkschaftsrechte geht.

Zuständig beim SGB

Luca Cirigliano

Zentralsekretär

031 377 01 17

luca.cirigliano(at)sgb.ch
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